Mit Goethe zu Tisch. Er spricht zunächst über die Reise seines Sohnes, und daß wir uns über den Er¬ folg keine zu große Illusion machen sollen. "Man kommt gewöhnlich zurück wie man gegangen ist, sagte er, ja man muß sich hüten, nicht mit Gedanken zurück¬ zukommen, die später für unsere Zustände nicht passen. So brachte ich aus Italien den Begriff der schönen Treppen zurück, und ich habe dadurch offenbar mein Haus verdorben, indem dadurch die Zimmer alle kleiner ausgefallen sind als sie hätten sollen. Die Hauptsache ist, daß man lerne sich selbst zu beherrschen. Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zu Grunde zu richten."
Wir sprachen sodann über krankhafte körperliche Zu¬ stände, und über die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist.
"Es ist unglaublich, sagte Goethe, wie viel der Geist zur Erhaltung des Körpers vermag. Ich leide oft an Beschwerden des Unterleibes, allein der geistige Wille und die Kräfte des oberen Theiles halten mich im Gange. Der Geist muß nur dem Körper nicht nach¬ geben! -- So arbeite ich bey hohem Barometerstande leichter als bey tiefem; da ich nun dieses weiß, so suche ich, bey tiefem Barometer, durch größere Anstrengung
Sonntag, den 21. Maͤrz 1830.
Mit Goethe zu Tiſch. Er ſpricht zunaͤchſt uͤber die Reiſe ſeines Sohnes, und daß wir uns uͤber den Er¬ folg keine zu große Illuſion machen ſollen. „Man kommt gewoͤhnlich zuruͤck wie man gegangen iſt, ſagte er, ja man muß ſich huͤten, nicht mit Gedanken zuruͤck¬ zukommen, die ſpaͤter fuͤr unſere Zuſtaͤnde nicht paſſen. So brachte ich aus Italien den Begriff der ſchoͤnen Treppen zuruͤck, und ich habe dadurch offenbar mein Haus verdorben, indem dadurch die Zimmer alle kleiner ausgefallen ſind als ſie haͤtten ſollen. Die Hauptſache iſt, daß man lerne ſich ſelbſt zu beherrſchen. Wollte ich mich ungehindert gehen laſſen, ſo laͤge es wohl in mir, mich ſelbſt und meine Umgebung zu Grunde zu richten.“
Wir ſprachen ſodann uͤber krankhafte koͤrperliche Zu¬ ſtaͤnde, und uͤber die Wechſelwirkung zwiſchen Koͤrper und Geiſt.
„Es iſt unglaublich, ſagte Goethe, wie viel der Geiſt zur Erhaltung des Koͤrpers vermag. Ich leide oft an Beſchwerden des Unterleibes, allein der geiſtige Wille und die Kraͤfte des oberen Theiles halten mich im Gange. Der Geiſt muß nur dem Koͤrper nicht nach¬ geben! — So arbeite ich bey hohem Barometerſtande leichter als bey tiefem; da ich nun dieſes weiß, ſo ſuche ich, bey tiefem Barometer, durch groͤßere Anſtrengung
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Sonntag, den 21. Maͤrz 1830.
Mit Goethe zu Tiſch. Er ſpricht zunaͤchſt uͤber die
Reiſe ſeines Sohnes, und daß wir uns uͤber den Er¬
folg keine zu große Illuſion machen ſollen. „Man
kommt gewoͤhnlich zuruͤck wie man gegangen iſt, ſagte
er, ja man muß ſich huͤten, nicht mit Gedanken zuruͤck¬
zukommen, die ſpaͤter fuͤr unſere Zuſtaͤnde nicht paſſen.
So brachte ich aus Italien den Begriff der ſchoͤnen
Treppen zuruͤck, und ich habe dadurch offenbar mein
Haus verdorben, indem dadurch die Zimmer alle kleiner
ausgefallen ſind als ſie haͤtten ſollen. Die Hauptſache
iſt, daß man lerne ſich ſelbſt zu beherrſchen. Wollte
ich mich ungehindert gehen laſſen, ſo laͤge es wohl in
mir, mich ſelbſt und meine Umgebung zu Grunde zu
richten.“
Wir ſprachen ſodann uͤber krankhafte koͤrperliche Zu¬
ſtaͤnde, und uͤber die Wechſelwirkung zwiſchen Koͤrper
und Geiſt.
„Es iſt unglaublich, ſagte Goethe, wie viel der
Geiſt zur Erhaltung des Koͤrpers vermag. Ich leide
oft an Beſchwerden des Unterleibes, allein der geiſtige
Wille und die Kraͤfte des oberen Theiles halten mich im
Gange. Der Geiſt muß nur dem Koͤrper nicht nach¬
geben! — So arbeite ich bey hohem Barometerſtande
leichter als bey tiefem; da ich nun dieſes weiß, ſo ſuche
ich, bey tiefem Barometer, durch groͤßere Anſtrengung
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/212>, abgerufen am 21.11.2024.
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