leere Nacht. Die Italiener behandeln das weiser. Ihre Theater-Nacht ist nie eine wirkliche, sondern nur eine Andeutung. Nur der Hintergrund des Theaters ver¬ dunkelte sich ein Weniges, und die spielenden Personen zogen sich so sehr in den Vordergrund, daß sie durchaus beleuchtet blieben, und kein Zug in dem Ausdruck ihrer Gesichter uns entging. In der Malerey sollte es billig auch so seyn, und es soll mich wundern, ob ich Bilder finden werde, wo die Nacht die Gesichter so verdunkelt hat, daß der Ausdruck unkenntlich wird. Ich hoffe von guten Meistern kein solches Bild zu finden.
Dieselbige schöne Maxime fand ich auch im Ballet angewendet. Eine nächtliche Scene war vorgestellt, wo ein Mädchen von einem Räuber überfallen wird. Das Theater ist nur ein Weniges verdunkelt, so daß man alle Bewegungen und den Ausdruck der Gesichter voll¬ kommen sieht. Auf das Geschrey des Mädchens entflieht der Mörder, und die Landleute eilen aus ihren Hütten herzu mit Lichtern. Aber nicht mit Lichtern von trüber Flamme, sondern dem Weißfeuer ähnlichen, so daß uns durch diesen Contrast der hellesten Beleuchtung erst fühl¬ bar wird, daß es in der vorigen Scene Nacht war.
Was man mir in Deutschland von dem lauten ita¬ lienischen Publicum voraussagte, habe ich bestätigt ge¬ funden, und zwar nimmt die Unruhe des Publicums zu, je länger eine Oper gegeben wird. Vor vierzehn Tagen sah ich eine der ersten Vorstellungen von dem Conte
leere Nacht. Die Italiener behandeln das weiſer. Ihre Theater-Nacht iſt nie eine wirkliche, ſondern nur eine Andeutung. Nur der Hintergrund des Theaters ver¬ dunkelte ſich ein Weniges, und die ſpielenden Perſonen zogen ſich ſo ſehr in den Vordergrund, daß ſie durchaus beleuchtet blieben, und kein Zug in dem Ausdruck ihrer Geſichter uns entging. In der Malerey ſollte es billig auch ſo ſeyn, und es ſoll mich wundern, ob ich Bilder finden werde, wo die Nacht die Geſichter ſo verdunkelt hat, daß der Ausdruck unkenntlich wird. Ich hoffe von guten Meiſtern kein ſolches Bild zu finden.
Dieſelbige ſchoͤne Maxime fand ich auch im Ballet angewendet. Eine naͤchtliche Scene war vorgeſtellt, wo ein Maͤdchen von einem Raͤuber uͤberfallen wird. Das Theater iſt nur ein Weniges verdunkelt, ſo daß man alle Bewegungen und den Ausdruck der Geſichter voll¬ kommen ſieht. Auf das Geſchrey des Maͤdchens entflieht der Moͤrder, und die Landleute eilen aus ihren Huͤtten herzu mit Lichtern. Aber nicht mit Lichtern von truͤber Flamme, ſondern dem Weißfeuer aͤhnlichen, ſo daß uns durch dieſen Contraſt der helleſten Beleuchtung erſt fuͤhl¬ bar wird, daß es in der vorigen Scene Nacht war.
Was man mir in Deutſchland von dem lauten ita¬ lieniſchen Publicum vorausſagte, habe ich beſtaͤtigt ge¬ funden, und zwar nimmt die Unruhe des Publicums zu, je laͤnger eine Oper gegeben wird. Vor vierzehn Tagen ſah ich eine der erſten Vorſtellungen von dem Conte
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leere Nacht. Die Italiener behandeln das weiſer. Ihre
Theater-Nacht iſt nie eine wirkliche, ſondern nur eine
Andeutung. Nur der Hintergrund des Theaters ver¬
dunkelte ſich ein Weniges, und die ſpielenden Perſonen
zogen ſich ſo ſehr in den Vordergrund, daß ſie durchaus
beleuchtet blieben, und kein Zug in dem Ausdruck ihrer
Geſichter uns entging. In der Malerey ſollte es billig
auch ſo ſeyn, und es ſoll mich wundern, ob ich Bilder
finden werde, wo die Nacht die Geſichter ſo verdunkelt
hat, daß der Ausdruck unkenntlich wird. Ich hoffe von
guten Meiſtern kein ſolches Bild zu finden.
Dieſelbige ſchoͤne Maxime fand ich auch im Ballet
angewendet. Eine naͤchtliche Scene war vorgeſtellt, wo
ein Maͤdchen von einem Raͤuber uͤberfallen wird. Das
Theater iſt nur ein Weniges verdunkelt, ſo daß man
alle Bewegungen und den Ausdruck der Geſichter voll¬
kommen ſieht. Auf das Geſchrey des Maͤdchens entflieht
der Moͤrder, und die Landleute eilen aus ihren Huͤtten
herzu mit Lichtern. Aber nicht mit Lichtern von truͤber
Flamme, ſondern dem Weißfeuer aͤhnlichen, ſo daß uns
durch dieſen Contraſt der helleſten Beleuchtung erſt fuͤhl¬
bar wird, daß es in der vorigen Scene Nacht war.
Was man mir in Deutſchland von dem lauten ita¬
lieniſchen Publicum vorausſagte, habe ich beſtaͤtigt ge¬
funden, und zwar nimmt die Unruhe des Publicums zu,
je laͤnger eine Oper gegeben wird. Vor vierzehn Tagen
ſah ich eine der erſten Vorſtellungen von dem Conte
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/226>, abgerufen am 16.02.2025.
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