er in gemüthlicher Ruhe, daß doch der große Dichter Goethe in seinem hohen Alter noch ein schweres Leid habe erfahren müssen, indem, wie er heut in den Zei¬ tungen gelesen, sein einziger Sohn in Italien am Schlage gestorben sey.
Man mag denken, was ich bey diesen Worten em¬ pfand. Ich nahm ein Licht und ging auf mein Zim¬ mer, um nicht die anwesenden Fremden zu Zeugen mei¬ ner inneren Bewegung zu machen.
Ich verbrachte die Nacht schlaflos. Das mich so nahe berührende Ereigniß war mir beständig vor der Seele. Die folgenden Tage und Nächte unterwegs, und in Mühlhausen und Gotha, vergingen mir nicht besser. Einsam im Wagen, bey den trüben November¬ tagen, und in den öden Feldern, wo nichts Äußeres mich zu zerstreuen und aufzuheitern geeignet war, be¬ mühte ich mich vergebens, andere Gedanken zu fassen, und in den Gasthöfen unter Menschen hörte ich, als von einer Neuigkeit des Tages, immer von dem mich so nahe betreffenden traurigen Fall. Meine größte Be¬ sorgniß war, daß Goethe in seinem hohen Alter den heftigen Sturm väterlicher Empfindungen nicht über¬ stehen möchte. "Und welchen Eindruck, sagte ich mir, wird deine Ankunft machen, da du mit seinem Sohne gegangen bist und nun alleine zurückkommst! Er wird ihn erst zu verlieren glauben, wenn er dich wiedersieht."
Unter solchen Gedanken und Empfindungen erreichte
er in gemuͤthlicher Ruhe, daß doch der große Dichter Goethe in ſeinem hohen Alter noch ein ſchweres Leid habe erfahren muͤſſen, indem, wie er heut in den Zei¬ tungen geleſen, ſein einziger Sohn in Italien am Schlage geſtorben ſey.
Man mag denken, was ich bey dieſen Worten em¬ pfand. Ich nahm ein Licht und ging auf mein Zim¬ mer, um nicht die anweſenden Fremden zu Zeugen mei¬ ner inneren Bewegung zu machen.
Ich verbrachte die Nacht ſchlaflos. Das mich ſo nahe beruͤhrende Ereigniß war mir beſtaͤndig vor der Seele. Die folgenden Tage und Naͤchte unterwegs, und in Muͤhlhauſen und Gotha, vergingen mir nicht beſſer. Einſam im Wagen, bey den truͤben November¬ tagen, und in den oͤden Feldern, wo nichts Äußeres mich zu zerſtreuen und aufzuheitern geeignet war, be¬ muͤhte ich mich vergebens, andere Gedanken zu faſſen, und in den Gaſthoͤfen unter Menſchen hoͤrte ich, als von einer Neuigkeit des Tages, immer von dem mich ſo nahe betreffenden traurigen Fall. Meine groͤßte Be¬ ſorgniß war, daß Goethe in ſeinem hohen Alter den heftigen Sturm vaͤterlicher Empfindungen nicht uͤber¬ ſtehen moͤchte. „Und welchen Eindruck, ſagte ich mir, wird deine Ankunft machen, da du mit ſeinem Sohne gegangen biſt und nun alleine zuruͤckkommſt! Er wird ihn erſt zu verlieren glauben, wenn er dich wiederſieht.“
Unter ſolchen Gedanken und Empfindungen erreichte
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er in gemuͤthlicher Ruhe, daß doch der große Dichter
Goethe in ſeinem hohen Alter noch ein ſchweres Leid
habe erfahren muͤſſen, indem, wie er heut in den Zei¬
tungen geleſen, ſein einziger Sohn in Italien am
Schlage geſtorben ſey.
Man mag denken, was ich bey dieſen Worten em¬
pfand. Ich nahm ein Licht und ging auf mein Zim¬
mer, um nicht die anweſenden Fremden zu Zeugen mei¬
ner inneren Bewegung zu machen.
Ich verbrachte die Nacht ſchlaflos. Das mich ſo
nahe beruͤhrende Ereigniß war mir beſtaͤndig vor der
Seele. Die folgenden Tage und Naͤchte unterwegs,
und in Muͤhlhauſen und Gotha, vergingen mir nicht
beſſer. Einſam im Wagen, bey den truͤben November¬
tagen, und in den oͤden Feldern, wo nichts Äußeres
mich zu zerſtreuen und aufzuheitern geeignet war, be¬
muͤhte ich mich vergebens, andere Gedanken zu faſſen,
und in den Gaſthoͤfen unter Menſchen hoͤrte ich, als
von einer Neuigkeit des Tages, immer von dem mich
ſo nahe betreffenden traurigen Fall. Meine groͤßte Be¬
ſorgniß war, daß Goethe in ſeinem hohen Alter den
heftigen Sturm vaͤterlicher Empfindungen nicht uͤber¬
ſtehen moͤchte. „Und welchen Eindruck, ſagte ich mir,
wird deine Ankunft machen, da du mit ſeinem Sohne
gegangen biſt und nun alleine zuruͤckkommſt! Er wird
ihn erſt zu verlieren glauben, wenn er dich wiederſieht.“
Unter ſolchen Gedanken und Empfindungen erreichte
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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