genug da, um einen gewissen Kreis von Lesern durch¬ aus zu befriedigen. Die Verse betreffend, so wollte es mir vorkommen, als ob der Hexameter für solche be¬ schränkte Zustände viel zu prätentiös, auch oft ein wenig gezwungen und geziert sey, und daß die Perioden nicht immer natürlich genug hinfließen um bequem gelesen zu werden.
Ich äußerte mich über diesen Punct heute Mittag bey Tisch gegen Goethe. "Die früheren Ausgaben jenes Gedichts, sagte er, sind in solcher Hinsicht weit besser, so daß ich mich erinnere, es mit Freuden vorgelesen zu haben. Später jedoch hat Voß viel daran gekünstelt, und aus technischen Grillen das Leichte, Natürliche der Verse verdorben. Überhaupt geht Alles jetzt aufs Tech¬ nische aus, und die Herren Critiker fangen an zu quän¬ geln, ob in einem Reim ein s auch wieder auf ein s komme und nicht etwa ein ß auf ein s. -- Wäre ich noch jung und verwegen genug, so würde ich absichtlich gegen alle solche technische Grillen verstoßen, ich würde Allitterationen, Assonanzen und falsche Reime, Alles gebrauchen wie es mir käme und bequem wäre; aber ich würde auf die Hauptsache losgehen, und so gute Dinge zu sagen suchen, daß jeder gereizt werden sollte, es zu lesen und auswendig zu lernen."
genug da, um einen gewiſſen Kreis von Leſern durch¬ aus zu befriedigen. Die Verſe betreffend, ſo wollte es mir vorkommen, als ob der Hexameter fuͤr ſolche be¬ ſchraͤnkte Zuſtaͤnde viel zu praͤtentioͤs, auch oft ein wenig gezwungen und geziert ſey, und daß die Perioden nicht immer natuͤrlich genug hinfließen um bequem geleſen zu werden.
Ich aͤußerte mich uͤber dieſen Punct heute Mittag bey Tiſch gegen Goethe. „Die fruͤheren Ausgaben jenes Gedichts, ſagte er, ſind in ſolcher Hinſicht weit beſſer, ſo daß ich mich erinnere, es mit Freuden vorgeleſen zu haben. Spaͤter jedoch hat Voß viel daran gekuͤnſtelt, und aus techniſchen Grillen das Leichte, Natuͤrliche der Verſe verdorben. Überhaupt geht Alles jetzt aufs Tech¬ niſche aus, und die Herren Critiker fangen an zu quaͤn¬ geln, ob in einem Reim ein s auch wieder auf ein s komme und nicht etwa ein ß auf ein s. — Waͤre ich noch jung und verwegen genug, ſo wuͤrde ich abſichtlich gegen alle ſolche techniſche Grillen verſtoßen, ich wuͤrde Allitterationen, Aſſonanzen und falſche Reime, Alles gebrauchen wie es mir kaͤme und bequem waͤre; aber ich wuͤrde auf die Hauptſache losgehen, und ſo gute Dinge zu ſagen ſuchen, daß jeder gereizt werden ſollte, es zu leſen und auswendig zu lernen.“
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genug da, um einen gewiſſen Kreis von Leſern durch¬
aus zu befriedigen. Die Verſe betreffend, ſo wollte es
mir vorkommen, als ob der Hexameter fuͤr ſolche be¬
ſchraͤnkte Zuſtaͤnde viel zu praͤtentioͤs, auch oft ein wenig
gezwungen und geziert ſey, und daß die Perioden nicht
immer natuͤrlich genug hinfließen um bequem geleſen zu
werden.
Ich aͤußerte mich uͤber dieſen Punct heute Mittag
bey Tiſch gegen Goethe. „Die fruͤheren Ausgaben jenes
Gedichts, ſagte er, ſind in ſolcher Hinſicht weit beſſer,
ſo daß ich mich erinnere, es mit Freuden vorgeleſen zu
haben. Spaͤter jedoch hat Voß viel daran gekuͤnſtelt,
und aus techniſchen Grillen das Leichte, Natuͤrliche der
Verſe verdorben. Überhaupt geht Alles jetzt aufs Tech¬
niſche aus, und die Herren Critiker fangen an zu quaͤn¬
geln, ob in einem Reim ein s auch wieder auf ein s
komme und nicht etwa ein ß auf ein s. — Waͤre ich
noch jung und verwegen genug, ſo wuͤrde ich abſichtlich
gegen alle ſolche techniſche Grillen verſtoßen, ich wuͤrde
Allitterationen, Aſſonanzen und falſche Reime, Alles
gebrauchen wie es mir kaͤme und bequem waͤre; aber
ich wuͤrde auf die Hauptſache losgehen, und ſo gute
Dinge zu ſagen ſuchen, daß jeder gereizt werden ſollte,
es zu leſen und auswendig zu lernen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/270>, abgerufen am 22.11.2024.
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