Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Heute bey Tisch erzählte mir Goethe, daß er den
vierten Act des Faust angefangen habe und so fortzu¬
fahren gedenke, welches mich sehr beglückte.

Sodann sprach er mit großem Lob über Carl
Schöne
, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein
Werk über die Costume in den Stücken des Euripides
geschrieben, und, bey großer Gelehrsamkeit, doch davon
nicht mehr entwickelt habe, als eben zu seinen Zwecken
nöthig.

"Ich freue mich, sagte Goethe, wie er mit produc¬
tivem Sinn auf die Sache losgeht, während andere
Philologen der letzten Zeit sich gar zu viel mit dem
Technischen und mit langen und kurzen Sylben zu
schaffen gemacht haben."

"Es ist immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit,
wenn sie so ins Kleinliche des Technischen geht, und
eben so ist es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬
duums, wenn es sich mit dergleichen befaßt."

"Und dann sind auch wieder andere Mängel hinder¬
lich. So finden sich z. B. im Grafen Platen fast
alle Haupterfordernisse eines guten Poeten: Einbildungs¬
kraft, Erfindung, Geist, Productivität besitzt er im ho¬
hen Grade; auch findet sich bey ihm eine vollkommene
technische Ausbildung, und ein Studium und ein Ernst
wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert seine unse¬
lige polemische Richtung."

Heute bey Tiſch erzaͤhlte mir Goethe, daß er den
vierten Act des Fauſt angefangen habe und ſo fortzu¬
fahren gedenke, welches mich ſehr begluͤckte.

Sodann ſprach er mit großem Lob uͤber Carl
Schoͤne
, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein
Werk uͤber die Coſtume in den Stuͤcken des Euripides
geſchrieben, und, bey großer Gelehrſamkeit, doch davon
nicht mehr entwickelt habe, als eben zu ſeinen Zwecken
noͤthig.

„Ich freue mich, ſagte Goethe, wie er mit produc¬
tivem Sinn auf die Sache losgeht, waͤhrend andere
Philologen der letzten Zeit ſich gar zu viel mit dem
Techniſchen und mit langen und kurzen Sylben zu
ſchaffen gemacht haben.“

„Es iſt immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit,
wenn ſie ſo ins Kleinliche des Techniſchen geht, und
eben ſo iſt es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬
duums, wenn es ſich mit dergleichen befaßt.“

„Und dann ſind auch wieder andere Maͤngel hinder¬
lich. So finden ſich z. B. im Grafen Platen faſt
alle Haupterforderniſſe eines guten Poeten: Einbildungs¬
kraft, Erfindung, Geiſt, Productivitaͤt beſitzt er im ho¬
hen Grade; auch findet ſich bey ihm eine vollkommene
techniſche Ausbildung, und ein Studium und ein Ernſt
wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert ſeine unſe¬
lige polemiſche Richtung.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0271" n="261"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Freytag, den 11. Februar 1831.<lb/></dateline>
          <p>Heute bey Ti&#x017F;ch erza&#x0364;hlte mir Goethe, daß er den<lb/>
vierten Act des <hi rendition="#g">Fau&#x017F;t</hi> angefangen habe und &#x017F;o fortzu¬<lb/>
fahren gedenke, welches mich &#x017F;ehr beglu&#x0364;ckte.</p><lb/>
          <p>Sodann &#x017F;prach er mit großem Lob u&#x0364;ber <hi rendition="#g">Carl<lb/>
Scho&#x0364;ne</hi>, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein<lb/>
Werk u&#x0364;ber die Co&#x017F;tume in den Stu&#x0364;cken des Euripides<lb/>
ge&#x017F;chrieben, und, bey großer Gelehr&#x017F;amkeit, doch davon<lb/>
nicht mehr entwickelt habe, als eben zu &#x017F;einen Zwecken<lb/>
no&#x0364;thig.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich freue mich, &#x017F;agte Goethe, wie er mit produc¬<lb/>
tivem Sinn auf die Sache losgeht, wa&#x0364;hrend andere<lb/>
Philologen der letzten Zeit &#x017F;ich gar zu viel mit dem<lb/>
Techni&#x017F;chen und mit langen und kurzen Sylben zu<lb/>
&#x017F;chaffen gemacht haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;o ins Kleinliche des Techni&#x017F;chen geht, und<lb/>
eben &#x017F;o i&#x017F;t es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬<lb/>
duums, wenn es &#x017F;ich mit dergleichen befaßt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und dann &#x017F;ind auch wieder andere Ma&#x0364;ngel hinder¬<lb/>
lich. So finden &#x017F;ich z. B. im Grafen <hi rendition="#g">Platen</hi> fa&#x017F;t<lb/>
alle Haupterforderni&#x017F;&#x017F;e eines guten Poeten: Einbildungs¬<lb/>
kraft, Erfindung, Gei&#x017F;t, Productivita&#x0364;t be&#x017F;itzt er im ho¬<lb/>
hen Grade; auch findet &#x017F;ich bey ihm eine vollkommene<lb/>
techni&#x017F;che Ausbildung, und ein Studium und ein Ern&#x017F;t<lb/>
wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert &#x017F;eine un&#x017F;<lb/>
lige polemi&#x017F;che Richtung.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0271] Freytag, den 11. Februar 1831. Heute bey Tiſch erzaͤhlte mir Goethe, daß er den vierten Act des Fauſt angefangen habe und ſo fortzu¬ fahren gedenke, welches mich ſehr begluͤckte. Sodann ſprach er mit großem Lob uͤber Carl Schoͤne, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein Werk uͤber die Coſtume in den Stuͤcken des Euripides geſchrieben, und, bey großer Gelehrſamkeit, doch davon nicht mehr entwickelt habe, als eben zu ſeinen Zwecken noͤthig. „Ich freue mich, ſagte Goethe, wie er mit produc¬ tivem Sinn auf die Sache losgeht, waͤhrend andere Philologen der letzten Zeit ſich gar zu viel mit dem Techniſchen und mit langen und kurzen Sylben zu ſchaffen gemacht haben.“ „Es iſt immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit, wenn ſie ſo ins Kleinliche des Techniſchen geht, und eben ſo iſt es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬ duums, wenn es ſich mit dergleichen befaßt.“ „Und dann ſind auch wieder andere Maͤngel hinder¬ lich. So finden ſich z. B. im Grafen Platen faſt alle Haupterforderniſſe eines guten Poeten: Einbildungs¬ kraft, Erfindung, Geiſt, Productivitaͤt beſitzt er im ho¬ hen Grade; auch findet ſich bey ihm eine vollkommene techniſche Ausbildung, und ein Studium und ein Ernſt wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert ſeine unſe¬ lige polemiſche Richtung.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/271
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/271>, abgerufen am 22.11.2024.