vorhersagen können, daß die gehörige Masse von zwi¬ schenliegender Trübe dem, die Mittagssonne reflectiren¬ den, weißen Schnee einen tiefgelben Ton geben würde; aber das Phänomen freute mich besonders aus dem Grunde, weil es die irrige Ansicht einiger Naturforscher, daß die Luft eine blaufärbende Eigenschaft besitze, so ganz entschieden widerlegt. Denn wäre die Luft in sich bläulich, so hätte eine Masse von zwanzig Stun¬ den, wie sie zwischen mir und dem Monterosa lag, den Schnee müssen hellblau oder weißbläulich durchscheinen lassen, aber nicht gelb und gelbröthlich.
"Die Beobachtung, sagte Goethe, ist von Bedeu¬ tung und widerlegt jenen Irrthum durchaus."
Im Grunde, sagte ich, ist die Lehre vom Trüben sehr einfach, so daß man gar zu leicht zu dem Glauben verführt wird, man könne sie einem Andern in wenig Tagen und Stunden überliefern. Das Schwierige aber ist, nun mit dem Gesetz zu operiren und ein Urphäno¬ men in tausendfältig bedingten und verhüllten Erschei¬ nungen immer wieder zu erkennen.
"Ich möchte es dem Whist vergleichen, sagte Goe¬ the, dessen Gesetze und Regeln auch gar leicht zu über¬ liefern sind, das man aber sehr lange gespielt haben muß, um darin ein Meister zu seyn. Überhaupt lernet niemand etwas durch bloßes Anhören, und wer sich in gewissen Dingen nicht selbst thätig bemühet, weiß die Sachen nur oberflächlich und halb."
vorherſagen koͤnnen, daß die gehoͤrige Maſſe von zwi¬ ſchenliegender Truͤbe dem, die Mittagsſonne reflectiren¬ den, weißen Schnee einen tiefgelben Ton geben wuͤrde; aber das Phaͤnomen freute mich beſonders aus dem Grunde, weil es die irrige Anſicht einiger Naturforſcher, daß die Luft eine blaufaͤrbende Eigenſchaft beſitze, ſo ganz entſchieden widerlegt. Denn waͤre die Luft in ſich blaͤulich, ſo haͤtte eine Maſſe von zwanzig Stun¬ den, wie ſie zwiſchen mir und dem Monteroſa lag, den Schnee muͤſſen hellblau oder weißblaͤulich durchſcheinen laſſen, aber nicht gelb und gelbroͤthlich.
„Die Beobachtung, ſagte Goethe, iſt von Bedeu¬ tung und widerlegt jenen Irrthum durchaus.“
Im Grunde, ſagte ich, iſt die Lehre vom Truͤben ſehr einfach, ſo daß man gar zu leicht zu dem Glauben verfuͤhrt wird, man koͤnne ſie einem Andern in wenig Tagen und Stunden uͤberliefern. Das Schwierige aber iſt, nun mit dem Geſetz zu operiren und ein Urphaͤno¬ men in tauſendfaͤltig bedingten und verhuͤllten Erſchei¬ nungen immer wieder zu erkennen.
„Ich moͤchte es dem Whiſt vergleichen, ſagte Goe¬ the, deſſen Geſetze und Regeln auch gar leicht zu uͤber¬ liefern ſind, das man aber ſehr lange geſpielt haben muß, um darin ein Meiſter zu ſeyn. Überhaupt lernet niemand etwas durch bloßes Anhoͤren, und wer ſich in gewiſſen Dingen nicht ſelbſt thaͤtig bemuͤhet, weiß die Sachen nur oberflaͤchlich und halb.“
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vorherſagen koͤnnen, daß die gehoͤrige Maſſe von zwi¬
ſchenliegender Truͤbe dem, die Mittagsſonne reflectiren¬
den, weißen Schnee einen tiefgelben Ton geben wuͤrde;
aber das Phaͤnomen freute mich beſonders aus dem
Grunde, weil es die irrige Anſicht einiger Naturforſcher,
daß die Luft eine blaufaͤrbende Eigenſchaft beſitze, ſo
ganz entſchieden widerlegt. Denn waͤre die Luft in
ſich blaͤulich, ſo haͤtte eine Maſſe von zwanzig Stun¬
den, wie ſie zwiſchen mir und dem Monteroſa lag, den
Schnee muͤſſen hellblau oder weißblaͤulich durchſcheinen
laſſen, aber nicht gelb und gelbroͤthlich.
„Die Beobachtung, ſagte Goethe, iſt von Bedeu¬
tung und widerlegt jenen Irrthum durchaus.“
Im Grunde, ſagte ich, iſt die Lehre vom Truͤben
ſehr einfach, ſo daß man gar zu leicht zu dem Glauben
verfuͤhrt wird, man koͤnne ſie einem Andern in wenig
Tagen und Stunden uͤberliefern. Das Schwierige aber
iſt, nun mit dem Geſetz zu operiren und ein Urphaͤno¬
men in tauſendfaͤltig bedingten und verhuͤllten Erſchei¬
nungen immer wieder zu erkennen.
„Ich moͤchte es dem Whiſt vergleichen, ſagte Goe¬
the, deſſen Geſetze und Regeln auch gar leicht zu uͤber¬
liefern ſind, das man aber ſehr lange geſpielt haben
muß, um darin ein Meiſter zu ſeyn. Überhaupt lernet
niemand etwas durch bloßes Anhoͤren, und wer ſich in
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Sachen nur oberflaͤchlich und halb.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/291>, abgerufen am 22.11.2024.
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