Goethe erzählte mir sodann von dem Buche eines jungen Physikers, das er loben müsse, wegen der Klar¬ heit mit der es geschrieben, und dem er die teleologische Richtung gerne nachsehe.
"Es ist dem Menschen natürlich, sagte Goethe, sich als das Ziel der Schöpfung zu betrachten, und alle übrigen Dinge nur in Bezug auf sich, und in so fern sie ihm dienen und nützen. Er bemächtiget sich der ve¬ getabilischen und animalischen Welt, und, indem er an¬ dere Geschöpfe als passende Nahrung verschlingt, erken¬ net er seinen Gott, und preiset dessen Güte, die so väterlich für ihn gesorget. Der Kuh nimmt er die Milch, der Biene den Honig, dem Schaf die Wolle, und indem er den Dingen einen ihm nützlichen Zweck giebt, glaubt er auch daß sie dazu sind geschaffen wor¬ den. Ja er kann sich nicht denken, daß nicht auch das kleinste Kraut für ihn da sey, und wenn er dessen Nutzen noch gegenwärtig nicht erkannt hat, so glaubt er doch, daß solches sich künftig ihm gewiß entdecken werde."
"Und wie der Mensch nun im Allgemeinen denkt, so denkt er auch im Besondern, und er unterläßt nicht, seine gewohnte Ansicht aus dem Leben auch in die Wis¬ senschaft zu tragen, und auch bey den einzelnen Theilen eines organischen Wesens nach deren Zweck und Nutzen zu fragen."
"Dieß mag auch eine Weile gehen, und er mag auch in der Wissenschaft eine Weile damit durchkommen;
Goethe erzaͤhlte mir ſodann von dem Buche eines jungen Phyſikers, das er loben muͤſſe, wegen der Klar¬ heit mit der es geſchrieben, und dem er die teleologiſche Richtung gerne nachſehe.
„Es iſt dem Menſchen natuͤrlich, ſagte Goethe, ſich als das Ziel der Schoͤpfung zu betrachten, und alle uͤbrigen Dinge nur in Bezug auf ſich, und in ſo fern ſie ihm dienen und nuͤtzen. Er bemaͤchtiget ſich der ve¬ getabiliſchen und animaliſchen Welt, und, indem er an¬ dere Geſchoͤpfe als paſſende Nahrung verſchlingt, erken¬ net er ſeinen Gott, und preiſet deſſen Guͤte, die ſo vaͤterlich fuͤr ihn geſorget. Der Kuh nimmt er die Milch, der Biene den Honig, dem Schaf die Wolle, und indem er den Dingen einen ihm nuͤtzlichen Zweck giebt, glaubt er auch daß ſie dazu ſind geſchaffen wor¬ den. Ja er kann ſich nicht denken, daß nicht auch das kleinſte Kraut fuͤr ihn da ſey, und wenn er deſſen Nutzen noch gegenwaͤrtig nicht erkannt hat, ſo glaubt er doch, daß ſolches ſich kuͤnftig ihm gewiß entdecken werde.“
„Und wie der Menſch nun im Allgemeinen denkt, ſo denkt er auch im Beſondern, und er unterlaͤßt nicht, ſeine gewohnte Anſicht aus dem Leben auch in die Wiſ¬ ſenſchaft zu tragen, und auch bey den einzelnen Theilen eines organiſchen Weſens nach deren Zweck und Nutzen zu fragen.“
„Dieß mag auch eine Weile gehen, und er mag auch in der Wiſſenſchaft eine Weile damit durchkommen;
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Goethe erzaͤhlte mir ſodann von dem Buche eines
jungen Phyſikers, das er loben muͤſſe, wegen der Klar¬
heit mit der es geſchrieben, und dem er die teleologiſche
Richtung gerne nachſehe.
„Es iſt dem Menſchen natuͤrlich, ſagte Goethe, ſich
als das Ziel der Schoͤpfung zu betrachten, und alle
uͤbrigen Dinge nur in Bezug auf ſich, und in ſo fern
ſie ihm dienen und nuͤtzen. Er bemaͤchtiget ſich der ve¬
getabiliſchen und animaliſchen Welt, und, indem er an¬
dere Geſchoͤpfe als paſſende Nahrung verſchlingt, erken¬
net er ſeinen Gott, und preiſet deſſen Guͤte, die ſo
vaͤterlich fuͤr ihn geſorget. Der Kuh nimmt er die
Milch, der Biene den Honig, dem Schaf die Wolle,
und indem er den Dingen einen ihm nuͤtzlichen Zweck
giebt, glaubt er auch daß ſie dazu ſind geſchaffen wor¬
den. Ja er kann ſich nicht denken, daß nicht auch das
kleinſte Kraut fuͤr ihn da ſey, und wenn er deſſen Nutzen
noch gegenwaͤrtig nicht erkannt hat, ſo glaubt er doch,
daß ſolches ſich kuͤnftig ihm gewiß entdecken werde.“
„Und wie der Menſch nun im Allgemeinen denkt,
ſo denkt er auch im Beſondern, und er unterlaͤßt nicht,
ſeine gewohnte Anſicht aus dem Leben auch in die Wiſ¬
ſenſchaft zu tragen, und auch bey den einzelnen Theilen
eines organiſchen Weſens nach deren Zweck und Nutzen
zu fragen.“
„Dieß mag auch eine Weile gehen, und er mag
auch in der Wiſſenſchaft eine Weile damit durchkommen;
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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