"Ich hätte Euch einen ganz anderen Moses machen wollen und das Stück ganz anders anfangen lassen. Ich hätte Euch zuerst gezeigt, wie die Kinder Israel, bey schwerem Frohndienst, von der Tyranney der egyptischen Vögte zu leiden haben, damit es nachher desto anschau¬ licher würde, welche Verdienste sich Moses um sein Volk erworben, das er aus so schändlichem Druck zu befreyen gewußt."
Goethe fuhr fort mit großer Heiterkeit die ganze Oper Schritt vor Schritt durch alle Scenen und Acte aufzubauen, immer geistreich und voller Leben, im histo¬ rischen Sinne des Süjets, und zum freudigen Erstaunen der ganzen Gesellschaft, die den unaufhaltsamen Fluß seiner Gedanken und den heiteren Reichthum seiner Er¬ findungen zu bewundern hatte. Es ging alles zu rasch vorüber um es aufzufassen, doch ist mir der Tanz der Egyptier im Gedächtniß geblieben, den Goethe nach der überstandenen Finsterniß, als Freude über das wieder¬ gegebene Licht, eintreten ließ.
Das Gespräch lenkte sich von Moses zurück auf die Sündfluth, und so nahm es bald, durch den geistreichen Naturforscher angeregt, eine naturhistorische Wendung.
"Man will, sagte Herr von Martius, auf dem Ararat ein Stück von der Arche Noahs versteinert ge¬ funden haben, und es sollte mich wundern, wenn man nicht auch die versteinerten Schädel der ersten Menschen finden sollte."
„Ich haͤtte Euch einen ganz anderen Moſes machen wollen und das Stuͤck ganz anders anfangen laſſen. Ich haͤtte Euch zuerſt gezeigt, wie die Kinder Israel, bey ſchwerem Frohndienſt, von der Tyranney der egyptiſchen Voͤgte zu leiden haben, damit es nachher deſto anſchau¬ licher wuͤrde, welche Verdienſte ſich Moſes um ſein Volk erworben, das er aus ſo ſchaͤndlichem Druck zu befreyen gewußt.“
Goethe fuhr fort mit großer Heiterkeit die ganze Oper Schritt vor Schritt durch alle Scenen und Acte aufzubauen, immer geiſtreich und voller Leben, im hiſto¬ riſchen Sinne des Suͤjets, und zum freudigen Erſtaunen der ganzen Geſellſchaft, die den unaufhaltſamen Fluß ſeiner Gedanken und den heiteren Reichthum ſeiner Er¬ findungen zu bewundern hatte. Es ging alles zu raſch voruͤber um es aufzufaſſen, doch iſt mir der Tanz der Egyptier im Gedaͤchtniß geblieben, den Goethe nach der uͤberſtandenen Finſterniß, als Freude uͤber das wieder¬ gegebene Licht, eintreten ließ.
Das Geſpraͤch lenkte ſich von Moſes zuruͤck auf die Suͤndfluth, und ſo nahm es bald, durch den geiſtreichen Naturforſcher angeregt, eine naturhiſtoriſche Wendung.
„Man will, ſagte Herr von Martius, auf dem Ararat ein Stuͤck von der Arche Noahs verſteinert ge¬ funden haben, und es ſollte mich wundern, wenn man nicht auch die verſteinerten Schaͤdel der erſten Menſchen finden ſollte.“
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„Ich haͤtte Euch einen ganz anderen Moſes machen
wollen und das Stuͤck ganz anders anfangen laſſen. Ich
haͤtte Euch zuerſt gezeigt, wie die Kinder Israel, bey
ſchwerem Frohndienſt, von der Tyranney der egyptiſchen
Voͤgte zu leiden haben, damit es nachher deſto anſchau¬
licher wuͤrde, welche Verdienſte ſich Moſes um ſein Volk
erworben, das er aus ſo ſchaͤndlichem Druck zu befreyen
gewußt.“
Goethe fuhr fort mit großer Heiterkeit die ganze
Oper Schritt vor Schritt durch alle Scenen und Acte
aufzubauen, immer geiſtreich und voller Leben, im hiſto¬
riſchen Sinne des Suͤjets, und zum freudigen Erſtaunen
der ganzen Geſellſchaft, die den unaufhaltſamen Fluß
ſeiner Gedanken und den heiteren Reichthum ſeiner Er¬
findungen zu bewundern hatte. Es ging alles zu raſch
voruͤber um es aufzufaſſen, doch iſt mir der Tanz der
Egyptier im Gedaͤchtniß geblieben, den Goethe nach der
uͤberſtandenen Finſterniß, als Freude uͤber das wieder¬
gegebene Licht, eintreten ließ.
Das Geſpraͤch lenkte ſich von Moſes zuruͤck auf die
Suͤndfluth, und ſo nahm es bald, durch den geiſtreichen
Naturforſcher angeregt, eine naturhiſtoriſche Wendung.
„Man will, ſagte Herr von Martius, auf dem
Ararat ein Stuͤck von der Arche Noahs verſteinert ge¬
funden haben, und es ſollte mich wundern, wenn man
nicht auch die verſteinerten Schaͤdel der erſten Menſchen
finden ſollte.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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