In der Poesie ist nur das wahrhaft Große und Reine förderlich, was wiederum wie eine zweyte Natur dasteht, und uns entweder zu sich heraufhebt, oder uns ver¬ schmäht. Eine mangelhafte Poesie hingegen entwickelt unsere Fehler, indem wir die ansteckenden Schwächen des Poeten in uns aufnehmen. Und zwar in uns auf¬ nehmen, ohne es zu wissen, weil wir das unserer Na¬ tur Zusagende nicht für mangelhaft erkennen.
Um aber in der Poesie aus Gutem wie aus Schlech¬ tem einigen Vortheil zu ziehen, müßte man bereits auf einer sehr hohen Stufe stehen, und ein solches Funda¬ ment besitzen, um dergleichen Dinge als außer uns lie¬ gende Gegenstände zu betrachten.
Deßhalb lobe ich mir den Verkehr mit der Natur, die unsere Schwächen auf keine Weise begünstigt, und die entweder etwas aus uns macht, oder überall nichts mit uns zu thun hat.
Montag, den 28. Februar 1831.
Ich beschäftige mich den ganzen Tag mit dem Ma¬ nuscript des vierten Bandes von Goethe's Leben, das er mir gestern zusandte, um zu prüfen was daran etwa noch zu thun seyn möchte. Ich bin glücklich über die¬ ses Werk, indem ich bedenke was es schon ist und was
In der Poeſie iſt nur das wahrhaft Große und Reine foͤrderlich, was wiederum wie eine zweyte Natur daſteht, und uns entweder zu ſich heraufhebt, oder uns ver¬ ſchmaͤht. Eine mangelhafte Poeſie hingegen entwickelt unſere Fehler, indem wir die anſteckenden Schwaͤchen des Poeten in uns aufnehmen. Und zwar in uns auf¬ nehmen, ohne es zu wiſſen, weil wir das unſerer Na¬ tur Zuſagende nicht fuͤr mangelhaft erkennen.
Um aber in der Poeſie aus Gutem wie aus Schlech¬ tem einigen Vortheil zu ziehen, muͤßte man bereits auf einer ſehr hohen Stufe ſtehen, und ein ſolches Funda¬ ment beſitzen, um dergleichen Dinge als außer uns lie¬ gende Gegenſtaͤnde zu betrachten.
Deßhalb lobe ich mir den Verkehr mit der Natur, die unſere Schwaͤchen auf keine Weiſe beguͤnſtigt, und die entweder etwas aus uns macht, oder uͤberall nichts mit uns zu thun hat.
Montag, den 28. Februar 1831.
Ich beſchaͤftige mich den ganzen Tag mit dem Ma¬ nuſcript des vierten Bandes von Goethe's Leben, das er mir geſtern zuſandte, um zu pruͤfen was daran etwa noch zu thun ſeyn moͤchte. Ich bin gluͤcklich uͤber die¬ ſes Werk, indem ich bedenke was es ſchon iſt und was
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In der Poeſie iſt nur das wahrhaft Große und Reine
foͤrderlich, was wiederum wie eine zweyte Natur daſteht,
und uns entweder zu ſich heraufhebt, oder uns ver¬
ſchmaͤht. Eine mangelhafte Poeſie hingegen entwickelt
unſere Fehler, indem wir die anſteckenden Schwaͤchen
des Poeten in uns aufnehmen. Und zwar in uns auf¬
nehmen, ohne es zu wiſſen, weil wir das unſerer Na¬
tur Zuſagende nicht fuͤr mangelhaft erkennen.
Um aber in der Poeſie aus Gutem wie aus Schlech¬
tem einigen Vortheil zu ziehen, muͤßte man bereits auf
einer ſehr hohen Stufe ſtehen, und ein ſolches Funda¬
ment beſitzen, um dergleichen Dinge als außer uns lie¬
gende Gegenſtaͤnde zu betrachten.
Deßhalb lobe ich mir den Verkehr mit der Natur,
die unſere Schwaͤchen auf keine Weiſe beguͤnſtigt, und
die entweder etwas aus uns macht, oder uͤberall nichts
mit uns zu thun hat.
Montag, den 28. Februar 1831.
Ich beſchaͤftige mich den ganzen Tag mit dem Ma¬
nuſcript des vierten Bandes von Goethe's Leben, das
er mir geſtern zuſandte, um zu pruͤfen was daran etwa
noch zu thun ſeyn moͤchte. Ich bin gluͤcklich uͤber die¬
ſes Werk, indem ich bedenke was es ſchon iſt und was
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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