gewahr, daß der Gegenstand zu groß und mannigfaltig ist, und daß unsere Augen nur bis zu einer gewissen Grenze reichen.
Der Mensch ist überall nur für das Kleine geboren, und er begreift nur und hat nur Freude an dem was ihm bekannt ist. Ein großer Kenner begreift ein Ge¬ mälde, er weiß das verschiedene Einzelne dem ihm be¬ kannten Allgemeinen zu verknüpfen, und das Ganze wie das Einzelne ist ihm lebendig. Er hat auch keine Vorliebe für gewisse einzelne Theile, er fragt nicht ob ein Gesicht garstig oder schön, ob eine Stelle hell oder dunkel, sondern er fragt ob Alles an seinem Ort stehe und gesetzlich und recht sey. Führen wir aber einen Unkundigen vor ein Gemälde von einigem Umfang, so werden wir sehen, wie ihn das Ganze unberührt lässet oder verwirret, wie einzelne Theile ihn anziehen, andere ihn abstoßen, und wie er am Ende bey ihm bekannten ganz kleinen Dingen stehen bleibt, indem er etwa lobt, wie doch dieser Helm und diese Feder so gut gemacht sey.
Im Grunde aber spielen wir Menschen vor dem großen Schicksalsgemälde der Welt mehr oder weniger alle die Rolle dieses Unkundigen. Die Lichtpartien, das Anmuthige zieht uns an, die schattigen und widerwär¬ tigen Stellen stoßen uns zurück, das Ganze verwirrt uns und wir suchen vergebens nach der Idee eines ein¬ zigen Wesens, dem wir so Widersprechendes zuschreiben.
Nun kann wohl einer in menschlichen Dingen ein
gewahr, daß der Gegenſtand zu groß und mannigfaltig iſt, und daß unſere Augen nur bis zu einer gewiſſen Grenze reichen.
Der Menſch iſt uͤberall nur fuͤr das Kleine geboren, und er begreift nur und hat nur Freude an dem was ihm bekannt iſt. Ein großer Kenner begreift ein Ge¬ maͤlde, er weiß das verſchiedene Einzelne dem ihm be¬ kannten Allgemeinen zu verknuͤpfen, und das Ganze wie das Einzelne iſt ihm lebendig. Er hat auch keine Vorliebe fuͤr gewiſſe einzelne Theile, er fragt nicht ob ein Geſicht garſtig oder ſchoͤn, ob eine Stelle hell oder dunkel, ſondern er fragt ob Alles an ſeinem Ort ſtehe und geſetzlich und recht ſey. Fuͤhren wir aber einen Unkundigen vor ein Gemaͤlde von einigem Umfang, ſo werden wir ſehen, wie ihn das Ganze unberuͤhrt laͤſſet oder verwirret, wie einzelne Theile ihn anziehen, andere ihn abſtoßen, und wie er am Ende bey ihm bekannten ganz kleinen Dingen ſtehen bleibt, indem er etwa lobt, wie doch dieſer Helm und dieſe Feder ſo gut gemacht ſey.
Im Grunde aber ſpielen wir Menſchen vor dem großen Schickſalsgemaͤlde der Welt mehr oder weniger alle die Rolle dieſes Unkundigen. Die Lichtpartien, das Anmuthige zieht uns an, die ſchattigen und widerwaͤr¬ tigen Stellen ſtoßen uns zuruͤck, das Ganze verwirrt uns und wir ſuchen vergebens nach der Idee eines ein¬ zigen Weſens, dem wir ſo Widerſprechendes zuſchreiben.
Nun kann wohl einer in menſchlichen Dingen ein
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gewahr, daß der Gegenſtand zu groß und mannigfaltig
iſt, und daß unſere Augen nur bis zu einer gewiſſen
Grenze reichen.
Der Menſch iſt uͤberall nur fuͤr das Kleine geboren,
und er begreift nur und hat nur Freude an dem was
ihm bekannt iſt. Ein großer Kenner begreift ein Ge¬
maͤlde, er weiß das verſchiedene Einzelne dem ihm be¬
kannten Allgemeinen zu verknuͤpfen, und das Ganze
wie das Einzelne iſt ihm lebendig. Er hat auch keine
Vorliebe fuͤr gewiſſe einzelne Theile, er fragt nicht ob
ein Geſicht garſtig oder ſchoͤn, ob eine Stelle hell oder
dunkel, ſondern er fragt ob Alles an ſeinem Ort ſtehe
und geſetzlich und recht ſey. Fuͤhren wir aber einen
Unkundigen vor ein Gemaͤlde von einigem Umfang, ſo
werden wir ſehen, wie ihn das Ganze unberuͤhrt laͤſſet
oder verwirret, wie einzelne Theile ihn anziehen, andere
ihn abſtoßen, und wie er am Ende bey ihm bekannten
ganz kleinen Dingen ſtehen bleibt, indem er etwa lobt,
wie doch dieſer Helm und dieſe Feder ſo gut gemacht ſey.
Im Grunde aber ſpielen wir Menſchen vor dem
großen Schickſalsgemaͤlde der Welt mehr oder weniger
alle die Rolle dieſes Unkundigen. Die Lichtpartien, das
Anmuthige zieht uns an, die ſchattigen und widerwaͤr¬
tigen Stellen ſtoßen uns zuruͤck, das Ganze verwirrt
uns und wir ſuchen vergebens nach der Idee eines ein¬
zigen Weſens, dem wir ſo Widerſprechendes zuſchreiben.
Nun kann wohl einer in menſchlichen Dingen ein
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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