"Sie mögen denken, sagte Goethe, wie das Stück auf uns jungen Leute wirkte, als es in jener dunkelen Zeit hervortrat. Es war wirklich ein glänzendes Me¬ teor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache lite¬ rarische Epoche einen Begriff hatte. Die beyden ersten Acte sind wirklich ein Meisterstück von Exposition, wo¬ von man viel lernte und wovon man noch immer ler¬ nen kann."
"Heut zu Tage will freylich niemand mehr etwas von Exposition wissen; die Wirkung, die man sonst im dritten Act erwartete, will man jetzt schon in der ersten Scene haben, und man bedenkt nicht, daß es mit der Poesie wie mit dem Seefahren ist, wo man erst vom Ufer stoßen und erst auf einer gewissen Höhe seyn muß, bevor man mit vollen Segeln gehen kann."
Goethe ließ etwas trefflichen Rheinwein kommen, womit Frankfurter Freunde ihm zu seinem letzten Geburts¬ tag ein Geschenk gemacht. Er erzählte mir dabey einige Anekdoten von Merck, der dem verstorbenen Großherzog nicht habe verzeihen können, daß er in der Ruhl bey Eisenach eines Tages einen mittelmäßigen Wein vor¬ trefflich gefunden.
"Merck und ich, fuhr Goethe fort, waren immer mit einander wie Faust und Mepyistopheles. So mo¬ quirte er sich über einen Brief meines Vaters aus Italien, worin dieser sich über die schlechte Lebensweise,
„Sie moͤgen denken, ſagte Goethe, wie das Stuͤck auf uns jungen Leute wirkte, als es in jener dunkelen Zeit hervortrat. Es war wirklich ein glaͤnzendes Me¬ teor. Es machte uns aufmerkſam, daß noch etwas Hoͤheres exiſtire, als wovon die damalige ſchwache lite¬ rariſche Epoche einen Begriff hatte. Die beyden erſten Acte ſind wirklich ein Meiſterſtuͤck von Expoſition, wo¬ von man viel lernte und wovon man noch immer ler¬ nen kann.“
„Heut zu Tage will freylich niemand mehr etwas von Expoſition wiſſen; die Wirkung, die man ſonſt im dritten Act erwartete, will man jetzt ſchon in der erſten Scene haben, und man bedenkt nicht, daß es mit der Poeſie wie mit dem Seefahren iſt, wo man erſt vom Ufer ſtoßen und erſt auf einer gewiſſen Hoͤhe ſeyn muß, bevor man mit vollen Segeln gehen kann.“
Goethe ließ etwas trefflichen Rheinwein kommen, womit Frankfurter Freunde ihm zu ſeinem letzten Geburts¬ tag ein Geſchenk gemacht. Er erzaͤhlte mir dabey einige Anekdoten von Merck, der dem verſtorbenen Großherzog nicht habe verzeihen koͤnnen, daß er in der Ruhl bey Eiſenach eines Tages einen mittelmaͤßigen Wein vor¬ trefflich gefunden.
„Merck und ich, fuhr Goethe fort, waren immer mit einander wie Fauſt und Mepyiſtopheles. So mo¬ quirte er ſich uͤber einen Brief meines Vaters aus Italien, worin dieſer ſich uͤber die ſchlechte Lebensweiſe,
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„Sie moͤgen denken, ſagte Goethe, wie das Stuͤck
auf uns jungen Leute wirkte, als es in jener dunkelen
Zeit hervortrat. Es war wirklich ein glaͤnzendes Me¬
teor. Es machte uns aufmerkſam, daß noch etwas
Hoͤheres exiſtire, als wovon die damalige ſchwache lite¬
rariſche Epoche einen Begriff hatte. Die beyden erſten
Acte ſind wirklich ein Meiſterſtuͤck von Expoſition, wo¬
von man viel lernte und wovon man noch immer ler¬
nen kann.“
„Heut zu Tage will freylich niemand mehr etwas
von Expoſition wiſſen; die Wirkung, die man ſonſt im
dritten Act erwartete, will man jetzt ſchon in der erſten
Scene haben, und man bedenkt nicht, daß es mit der
Poeſie wie mit dem Seefahren iſt, wo man erſt vom
Ufer ſtoßen und erſt auf einer gewiſſen Hoͤhe ſeyn muß,
bevor man mit vollen Segeln gehen kann.“
Goethe ließ etwas trefflichen Rheinwein kommen,
womit Frankfurter Freunde ihm zu ſeinem letzten Geburts¬
tag ein Geſchenk gemacht. Er erzaͤhlte mir dabey einige
Anekdoten von Merck, der dem verſtorbenen Großherzog
nicht habe verzeihen koͤnnen, daß er in der Ruhl bey
Eiſenach eines Tages einen mittelmaͤßigen Wein vor¬
trefflich gefunden.
„Merck und ich, fuhr Goethe fort, waren immer
mit einander wie Fauſt und Mepyiſtopheles. So mo¬
quirte er ſich uͤber einen Brief meines Vaters aus
Italien, worin dieſer ſich uͤber die ſchlechte Lebensweiſe,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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