Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

was anderes seyn könnte, als daß der Autor ein Phi¬
lister gewesen! -- Aber die Deutschen wissen nicht leicht,
wie sie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das
Höhere geht oft an ihnen vorüber, ohne daß sie es
gewahr werden. Ein Factum unseres Lebens gilt nicht,
insofern es wahr ist, sondern in so fern es etwas zu
bedeuten hatte."


Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer
Wir redeten über literarische Dinge, und Meyer erzählte
uns seine erste Bekanntschaft mit Schiller.

"Ich ging, sagte er, mit Goethe in dem sogenann¬
ten Paradies bey Jena spazieren, wo Schiller uns be¬
gegnete und wo wir zuerst mit einander redeten. Er
hatte seinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war
eben aus Schwaben zurückgekehrt und schien sehr krank
und an den Nerven leidend. Sein Gesicht glich dem
Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er würde keine
vierzehn Tage leben, allein, als er zu größerem Be¬
hagen kam, erholte er sich wieder und schrieb dann erst
alle seine bedeutenden Sachen."

Meyer erzählte sodann einige Züge von Jean Paul
und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshause zu
Heidelberg getroffen; so wie Einiges aus seinem Aufent¬

was anderes ſeyn koͤnnte, als daß der Autor ein Phi¬
liſter geweſen! — Aber die Deutſchen wiſſen nicht leicht,
wie ſie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das
Hoͤhere geht oft an ihnen voruͤber, ohne daß ſie es
gewahr werden. Ein Factum unſeres Lebens gilt nicht,
inſofern es wahr iſt, ſondern in ſo fern es etwas zu
bedeuten hatte.“


Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer
Wir redeten uͤber literariſche Dinge, und Meyer erzaͤhlte
uns ſeine erſte Bekanntſchaft mit Schiller.

„Ich ging, ſagte er, mit Goethe in dem ſogenann¬
ten Paradies bey Jena ſpazieren, wo Schiller uns be¬
gegnete und wo wir zuerſt mit einander redeten. Er
hatte ſeinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war
eben aus Schwaben zuruͤckgekehrt und ſchien ſehr krank
und an den Nerven leidend. Sein Geſicht glich dem
Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er wuͤrde keine
vierzehn Tage leben, allein, als er zu groͤßerem Be¬
hagen kam, erholte er ſich wieder und ſchrieb dann erſt
alle ſeine bedeutenden Sachen.“

Meyer erzaͤhlte ſodann einige Zuͤge von Jean Paul
und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshauſe zu
Heidelberg getroffen; ſo wie Einiges aus ſeinem Aufent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0345" n="335"/>
was anderes &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, als daß der Autor ein Phi¬<lb/>
li&#x017F;ter gewe&#x017F;en! &#x2014; Aber die Deut&#x017F;chen wi&#x017F;&#x017F;en nicht leicht,<lb/>
wie &#x017F;ie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das<lb/>
Ho&#x0364;here geht oft an ihnen voru&#x0364;ber, ohne daß &#x017F;ie es<lb/>
gewahr werden. Ein Factum un&#x017F;eres Lebens gilt nicht,<lb/>
in&#x017F;ofern es wahr i&#x017F;t, &#x017F;ondern in &#x017F;o fern es etwas zu<lb/>
bedeuten hatte.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Donnerstag den 31. Ma&#x0364;rz 1831.<lb/></dateline>
          <p>Zu Tafel beym <hi rendition="#g">Prinzen</hi> mit <hi rendition="#g">Soret</hi> und <hi rendition="#g">Meyer</hi><lb/>
Wir redeten u&#x0364;ber literari&#x017F;che Dinge, und Meyer erza&#x0364;hlte<lb/>
uns &#x017F;eine er&#x017F;te Bekannt&#x017F;chaft mit <hi rendition="#g">Schiller</hi>.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich ging, &#x017F;agte er, mit Goethe in dem &#x017F;ogenann¬<lb/>
ten Paradies bey Jena &#x017F;pazieren, wo Schiller uns be¬<lb/>
gegnete und wo wir zuer&#x017F;t mit einander redeten. Er<lb/>
hatte &#x017F;einen Don Carlos noch nicht beendigt; er war<lb/>
eben aus Schwaben zuru&#x0364;ckgekehrt und &#x017F;chien &#x017F;ehr krank<lb/>
und an den Nerven leidend. Sein Ge&#x017F;icht glich dem<lb/>
Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er wu&#x0364;rde keine<lb/>
vierzehn Tage leben, allein, als er zu gro&#x0364;ßerem Be¬<lb/>
hagen kam, erholte er &#x017F;ich wieder und &#x017F;chrieb dann er&#x017F;t<lb/>
alle &#x017F;eine bedeutenden Sachen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Meyer erza&#x0364;hlte &#x017F;odann einige Zu&#x0364;ge von <hi rendition="#g">Jean Paul</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Schlegel</hi>, die er beyde in einem Wirthshau&#x017F;e zu<lb/>
Heidelberg getroffen; &#x017F;o wie Einiges aus &#x017F;einem Aufent¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0345] was anderes ſeyn koͤnnte, als daß der Autor ein Phi¬ liſter geweſen! — Aber die Deutſchen wiſſen nicht leicht, wie ſie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das Hoͤhere geht oft an ihnen voruͤber, ohne daß ſie es gewahr werden. Ein Factum unſeres Lebens gilt nicht, inſofern es wahr iſt, ſondern in ſo fern es etwas zu bedeuten hatte.“ Donnerstag den 31. Maͤrz 1831. Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer Wir redeten uͤber literariſche Dinge, und Meyer erzaͤhlte uns ſeine erſte Bekanntſchaft mit Schiller. „Ich ging, ſagte er, mit Goethe in dem ſogenann¬ ten Paradies bey Jena ſpazieren, wo Schiller uns be¬ gegnete und wo wir zuerſt mit einander redeten. Er hatte ſeinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war eben aus Schwaben zuruͤckgekehrt und ſchien ſehr krank und an den Nerven leidend. Sein Geſicht glich dem Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er wuͤrde keine vierzehn Tage leben, allein, als er zu groͤßerem Be¬ hagen kam, erholte er ſich wieder und ſchrieb dann erſt alle ſeine bedeutenden Sachen.“ Meyer erzaͤhlte ſodann einige Zuͤge von Jean Paul und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshauſe zu Heidelberg getroffen; ſo wie Einiges aus ſeinem Aufent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/345
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/345>, abgerufen am 24.11.2024.