was anderes seyn könnte, als daß der Autor ein Phi¬ lister gewesen! -- Aber die Deutschen wissen nicht leicht, wie sie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das Höhere geht oft an ihnen vorüber, ohne daß sie es gewahr werden. Ein Factum unseres Lebens gilt nicht, insofern es wahr ist, sondern in so fern es etwas zu bedeuten hatte."
Donnerstag den 31. März 1831.
Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer Wir redeten über literarische Dinge, und Meyer erzählte uns seine erste Bekanntschaft mit Schiller.
"Ich ging, sagte er, mit Goethe in dem sogenann¬ ten Paradies bey Jena spazieren, wo Schiller uns be¬ gegnete und wo wir zuerst mit einander redeten. Er hatte seinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war eben aus Schwaben zurückgekehrt und schien sehr krank und an den Nerven leidend. Sein Gesicht glich dem Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er würde keine vierzehn Tage leben, allein, als er zu größerem Be¬ hagen kam, erholte er sich wieder und schrieb dann erst alle seine bedeutenden Sachen."
Meyer erzählte sodann einige Züge von Jean Paul und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshause zu Heidelberg getroffen; so wie Einiges aus seinem Aufent¬
was anderes ſeyn koͤnnte, als daß der Autor ein Phi¬ liſter geweſen! — Aber die Deutſchen wiſſen nicht leicht, wie ſie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das Hoͤhere geht oft an ihnen voruͤber, ohne daß ſie es gewahr werden. Ein Factum unſeres Lebens gilt nicht, inſofern es wahr iſt, ſondern in ſo fern es etwas zu bedeuten hatte.“
Donnerstag den 31. Maͤrz 1831.
Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer Wir redeten uͤber literariſche Dinge, und Meyer erzaͤhlte uns ſeine erſte Bekanntſchaft mit Schiller.
„Ich ging, ſagte er, mit Goethe in dem ſogenann¬ ten Paradies bey Jena ſpazieren, wo Schiller uns be¬ gegnete und wo wir zuerſt mit einander redeten. Er hatte ſeinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war eben aus Schwaben zuruͤckgekehrt und ſchien ſehr krank und an den Nerven leidend. Sein Geſicht glich dem Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er wuͤrde keine vierzehn Tage leben, allein, als er zu groͤßerem Be¬ hagen kam, erholte er ſich wieder und ſchrieb dann erſt alle ſeine bedeutenden Sachen.“
Meyer erzaͤhlte ſodann einige Zuͤge von Jean Paul und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshauſe zu Heidelberg getroffen; ſo wie Einiges aus ſeinem Aufent¬
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was anderes ſeyn koͤnnte, als daß der Autor ein Phi¬
liſter geweſen! — Aber die Deutſchen wiſſen nicht leicht,
wie ſie etwas Ungewohntes zu nehmen haben, und das
Hoͤhere geht oft an ihnen voruͤber, ohne daß ſie es
gewahr werden. Ein Factum unſeres Lebens gilt nicht,
inſofern es wahr iſt, ſondern in ſo fern es etwas zu
bedeuten hatte.“
Donnerstag den 31. Maͤrz 1831.
Zu Tafel beym Prinzen mit Soret und Meyer
Wir redeten uͤber literariſche Dinge, und Meyer erzaͤhlte
uns ſeine erſte Bekanntſchaft mit Schiller.
„Ich ging, ſagte er, mit Goethe in dem ſogenann¬
ten Paradies bey Jena ſpazieren, wo Schiller uns be¬
gegnete und wo wir zuerſt mit einander redeten. Er
hatte ſeinen Don Carlos noch nicht beendigt; er war
eben aus Schwaben zuruͤckgekehrt und ſchien ſehr krank
und an den Nerven leidend. Sein Geſicht glich dem
Bilde des Gekreuzigten. Goethe dachte, er wuͤrde keine
vierzehn Tage leben, allein, als er zu groͤßerem Be¬
hagen kam, erholte er ſich wieder und ſchrieb dann erſt
alle ſeine bedeutenden Sachen.“
Meyer erzaͤhlte ſodann einige Zuͤge von Jean Paul
und Schlegel, die er beyde in einem Wirthshauſe zu
Heidelberg getroffen; ſo wie Einiges aus ſeinem Aufent¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/345>, abgerufen am 24.11.2024.
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