"Ich habe im Schubart zu lesen fortgefahren, sagte Goethe; er ist freylich ein bedeutender Mensch, und er sagt sogar manches sehr Vorzügliche, wenn man es sich in seine eigene Sprache übersetzt. Die Hauptrichtung seines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬ punct außerhalb der Philosophie gebe, nämlich den des gesunden Menschenverstandes; und daß Kunst und Wis¬ senschaft, unabhängig von der Philosophie, mittelst freyer Wirkung natürlicher menschlicher Kräfte, immer am besten gediehen sey. Dieß ist durchaus Wasser auf unsere Mühle. Von der Philosophie habe ich mich selbst immer frey erhalten; der Standpunct des gesunden Menschenverstan¬ des war auch der meinige, und Schubart bestätiget also, was ich mein ganzes Leben selber gesagt und gethan habe.
Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben kann, ist, daß er gewisse Dinge besser weiß als er sie sagt, und daß er also nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. So wie Hegel zieht auch er die christliche Reli¬
Mittwoch, den 4. Februar 1829.
„Ich habe im Schubart zu leſen fortgefahren, ſagte Goethe; er iſt freylich ein bedeutender Menſch, und er ſagt ſogar manches ſehr Vorzuͤgliche, wenn man es ſich in ſeine eigene Sprache uͤberſetzt. Die Hauptrichtung ſeines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬ punct außerhalb der Philoſophie gebe, naͤmlich den des geſunden Menſchenverſtandes; und daß Kunſt und Wiſ¬ ſenſchaft, unabhaͤngig von der Philoſophie, mittelſt freyer Wirkung natuͤrlicher menſchlicher Kraͤfte, immer am beſten gediehen ſey. Dieß iſt durchaus Waſſer auf unſere Muͤhle. Von der Philoſophie habe ich mich ſelbſt immer frey erhalten; der Standpunct des geſunden Menſchenverſtan¬ des war auch der meinige, und Schubart beſtaͤtiget alſo, was ich mein ganzes Leben ſelber geſagt und gethan habe.
Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben kann, iſt, daß er gewiſſe Dinge beſſer weiß als er ſie ſagt, und daß er alſo nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. So wie Hegel zieht auch er die chriſtliche Reli¬
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Mittwoch, den 4. Februar 1829.
„Ich habe im Schubart zu leſen fortgefahren, ſagte
Goethe; er iſt freylich ein bedeutender Menſch, und er
ſagt ſogar manches ſehr Vorzuͤgliche, wenn man es ſich
in ſeine eigene Sprache uͤberſetzt. Die Hauptrichtung
ſeines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬
punct außerhalb der Philoſophie gebe, naͤmlich den des
geſunden Menſchenverſtandes; und daß Kunſt und Wiſ¬
ſenſchaft, unabhaͤngig von der Philoſophie, mittelſt freyer
Wirkung natuͤrlicher menſchlicher Kraͤfte, immer am beſten
gediehen ſey. Dieß iſt durchaus Waſſer auf unſere Muͤhle.
Von der Philoſophie habe ich mich ſelbſt immer frey
erhalten; der Standpunct des geſunden Menſchenverſtan¬
des war auch der meinige, und Schubart beſtaͤtiget alſo,
was ich mein ganzes Leben ſelber geſagt und gethan habe.
Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben
kann, iſt, daß er gewiſſe Dinge beſſer weiß als er ſie
ſagt, und daß er alſo nicht immer ganz ehrlich zu Werke
geht. So wie Hegel zieht auch er die chriſtliche Reli¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. [55]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/65>, abgerufen am 24.11.2024.
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