gion in die Philosophie herein, die doch nichts darin zu thun hat. Die christliche Religion ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder empor¬ gearbeitet hat; und indem man ihr diese Wirkung zuge¬ steht, ist sie über aller Philosophie erhaben und bedarf von ihr keiner Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu beweisen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer. Der Mensch soll an Unsterblichkeit glauben, er hat dazu ein Recht, es ist seiner Natur gemäß, und er darf auf re¬ ligiöse Zusagen bauen; wenn aber der Philosoph den Beweis für die Unsterblichkeit unserer Seele aus einer Legende hernehmen will, so ist das sehr schwach und will nicht viel heißen. Die Überzeugung unserer Fort¬ dauer entspringt mir aus dem Begriff der Thätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Da¬ seyns anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht ferner auszuhalten vermag."
Mein Herz schlug bey diesen Worten vor Bewun¬ derung und Liebe. Ist doch, dachte ich, nie eine Lehre ausgesprochen worden, die mehr zu edlen Thaten reizt, als diese. Denn wer will nicht bis an sein Ende un¬ ermüdlich wirken und handeln, wenn er darin die Bürg¬ schaft eines ewigen Lebens findet.
Goethe ließ ein Portefeuille mit Handzeichnungen
gion in die Philoſophie herein, die doch nichts darin zu thun hat. Die chriſtliche Religion iſt ein maͤchtiges Weſen fuͤr ſich, woran die geſunkene und leidende Menſchheit von Zeit zu Zeit ſich immer wieder empor¬ gearbeitet hat; und indem man ihr dieſe Wirkung zuge¬ ſteht, iſt ſie uͤber aller Philoſophie erhaben und bedarf von ihr keiner Stuͤtze. So auch bedarf der Philoſoph nicht das Anſehen der Religion, um gewiſſe Lehren zu beweiſen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer. Der Menſch ſoll an Unſterblichkeit glauben, er hat dazu ein Recht, es iſt ſeiner Natur gemaͤß, und er darf auf re¬ ligioͤſe Zuſagen bauen; wenn aber der Philoſoph den Beweis fuͤr die Unſterblichkeit unſerer Seele aus einer Legende hernehmen will, ſo iſt das ſehr ſchwach und will nicht viel heißen. Die Überzeugung unſerer Fort¬ dauer entſpringt mir aus dem Begriff der Thaͤtigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende raſtlos wirke, ſo iſt die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Da¬ ſeyns anzuweiſen, wenn die jetzige meinem Geiſt nicht ferner auszuhalten vermag.“
Mein Herz ſchlug bey dieſen Worten vor Bewun¬ derung und Liebe. Iſt doch, dachte ich, nie eine Lehre ausgeſprochen worden, die mehr zu edlen Thaten reizt, als dieſe. Denn wer will nicht bis an ſein Ende un¬ ermuͤdlich wirken und handeln, wenn er darin die Buͤrg¬ ſchaft eines ewigen Lebens findet.
Goethe ließ ein Portefeuille mit Handzeichnungen
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0066"n="56"/>
gion in die Philoſophie herein, die doch nichts darin zu<lb/>
thun hat. Die chriſtliche Religion iſt ein maͤchtiges<lb/>
Weſen fuͤr ſich, woran die geſunkene und leidende<lb/>
Menſchheit von Zeit zu Zeit ſich immer wieder empor¬<lb/>
gearbeitet hat; und indem man ihr dieſe Wirkung zuge¬<lb/>ſteht, iſt ſie uͤber aller Philoſophie erhaben und bedarf<lb/>
von ihr keiner Stuͤtze. So auch bedarf der Philoſoph<lb/>
nicht das Anſehen der Religion, um gewiſſe Lehren zu<lb/>
beweiſen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer. Der<lb/>
Menſch ſoll an Unſterblichkeit glauben, er hat dazu ein<lb/>
Recht, es iſt ſeiner Natur gemaͤß, und er darf auf re¬<lb/>
ligioͤſe Zuſagen bauen; wenn aber der <hirendition="#g">Philoſoph</hi> den<lb/>
Beweis fuͤr die Unſterblichkeit unſerer Seele aus einer<lb/>
Legende hernehmen will, ſo iſt das ſehr ſchwach und<lb/>
will nicht viel heißen. Die Überzeugung unſerer Fort¬<lb/>
dauer entſpringt mir aus dem Begriff der Thaͤtigkeit;<lb/>
denn wenn ich bis an mein Ende raſtlos wirke, ſo iſt<lb/>
die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Da¬<lb/>ſeyns anzuweiſen, wenn die jetzige meinem Geiſt nicht<lb/>
ferner auszuhalten vermag.“</p><lb/><p>Mein Herz ſchlug bey dieſen Worten vor Bewun¬<lb/>
derung und Liebe. Iſt doch, dachte ich, nie eine Lehre<lb/>
ausgeſprochen worden, die mehr zu edlen Thaten reizt,<lb/>
als dieſe. Denn wer will nicht bis an ſein Ende un¬<lb/>
ermuͤdlich wirken und handeln, wenn er darin die Buͤrg¬<lb/>ſchaft eines ewigen Lebens findet.</p><lb/><p>Goethe ließ ein Portefeuille mit Handzeichnungen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[56/0066]
gion in die Philoſophie herein, die doch nichts darin zu
thun hat. Die chriſtliche Religion iſt ein maͤchtiges
Weſen fuͤr ſich, woran die geſunkene und leidende
Menſchheit von Zeit zu Zeit ſich immer wieder empor¬
gearbeitet hat; und indem man ihr dieſe Wirkung zuge¬
ſteht, iſt ſie uͤber aller Philoſophie erhaben und bedarf
von ihr keiner Stuͤtze. So auch bedarf der Philoſoph
nicht das Anſehen der Religion, um gewiſſe Lehren zu
beweiſen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer. Der
Menſch ſoll an Unſterblichkeit glauben, er hat dazu ein
Recht, es iſt ſeiner Natur gemaͤß, und er darf auf re¬
ligioͤſe Zuſagen bauen; wenn aber der Philoſoph den
Beweis fuͤr die Unſterblichkeit unſerer Seele aus einer
Legende hernehmen will, ſo iſt das ſehr ſchwach und
will nicht viel heißen. Die Überzeugung unſerer Fort¬
dauer entſpringt mir aus dem Begriff der Thaͤtigkeit;
denn wenn ich bis an mein Ende raſtlos wirke, ſo iſt
die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Da¬
ſeyns anzuweiſen, wenn die jetzige meinem Geiſt nicht
ferner auszuhalten vermag.“
Mein Herz ſchlug bey dieſen Worten vor Bewun¬
derung und Liebe. Iſt doch, dachte ich, nie eine Lehre
ausgeſprochen worden, die mehr zu edlen Thaten reizt,
als dieſe. Denn wer will nicht bis an ſein Ende un¬
ermuͤdlich wirken und handeln, wenn er darin die Buͤrg¬
ſchaft eines ewigen Lebens findet.
Goethe ließ ein Portefeuille mit Handzeichnungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/66>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.