wenn ich jetzt die ersten grünen Blätter finde; zufrieden, wenn ich sehe, wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe sehe, und bin glück¬ lich, wenn endlich der Juni mir die Rose selbst in aller Pracht und in allem Duft entgegen reicht. Kann aber Jemand die Zeit nicht erwarten, der wende sich an die Treibhäuser."
"Nun heißt es wieder, ich sey ein Fürstendiener, ich sey ein Fürstenknecht. -- Als ob damit etwas gesagt wäre! -- Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? -- Diene ich denn etwa einem Solchen, der auf Kosten des Volkes nur seinen eigenen Lüsten lebt? -- Solche Fürsten und solche Zeiten liegen gottlob längst hinter uns. Ich bin dem Großherzog seit einem halben Jahrhundert auf das innigste verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm gestrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich sagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hatte, etwas zu thun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zustand des Einzelnen zu verbessern. -- Für sich per¬ sönlich, was hatte er denn von seinem Fürstenstande als Last und Mühe! -- Ist seine Wohnung, seine Kleidung und seine Tafel etwa besser bestellt, als die eines wohl¬ habenden Privatmannes? -- Man gehe nur in unsere Seestädte und man wird Küche und Keller eines
wenn ich jetzt die erſten grünen Blätter finde; zufrieden, wenn ich ſehe, wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe ſehe, und bin glück¬ lich, wenn endlich der Juni mir die Roſe ſelbſt in aller Pracht und in allem Duft entgegen reicht. Kann aber Jemand die Zeit nicht erwarten, der wende ſich an die Treibhäuſer.“
„Nun heißt es wieder, ich ſey ein Fürſtendiener, ich ſey ein Fürſtenknecht. — Als ob damit etwas geſagt wäre! — Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? — Diene ich denn etwa einem Solchen, der auf Koſten des Volkes nur ſeinen eigenen Lüſten lebt? — Solche Fürſten und ſolche Zeiten liegen gottlob längſt hinter uns. Ich bin dem Großherzog ſeit einem halben Jahrhundert auf das innigſte verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm geſtrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich ſagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hatte, etwas zu thun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zuſtand des Einzelnen zu verbeſſern. — Für ſich per¬ ſönlich, was hatte er denn von ſeinem Fürſtenſtande als Laſt und Mühe! — Iſt ſeine Wohnung, ſeine Kleidung und ſeine Tafel etwa beſſer beſtellt, als die eines wohl¬ habenden Privatmannes? — Man gehe nur in unſere Seeſtädte und man wird Küche und Keller eines
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wenn ich jetzt die erſten grünen Blätter finde; zufrieden,
wenn ich ſehe, wie ein Blatt nach dem andern den
Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue
mich, wenn ich im Mai die Knospe ſehe, und bin glück¬
lich, wenn endlich der Juni mir die Roſe ſelbſt in aller
Pracht und in allem Duft entgegen reicht. Kann aber
Jemand die Zeit nicht erwarten, der wende ſich an die
Treibhäuſer.“
„Nun heißt es wieder, ich ſey ein Fürſtendiener, ich
ſey ein Fürſtenknecht. — Als ob damit etwas geſagt
wäre! — Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem
Despoten? — Diene ich denn etwa einem Solchen, der
auf Koſten des Volkes nur ſeinen eigenen Lüſten lebt? —
Solche Fürſten und ſolche Zeiten liegen gottlob längſt
hinter uns. Ich bin dem Großherzog ſeit einem halben
Jahrhundert auf das innigſte verbunden und habe ein
halbes Jahrhundert mit ihm geſtrebt und gearbeitet;
aber lügen müßte ich, wenn ich ſagen wollte, ich wüßte
einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran
gedacht hatte, etwas zu thun und auszuführen, das dem
Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den
Zuſtand des Einzelnen zu verbeſſern. — Für ſich per¬
ſönlich, was hatte er denn von ſeinem Fürſtenſtande als
Laſt und Mühe! — Iſt ſeine Wohnung, ſeine Kleidung
und ſeine Tafel etwa beſſer beſtellt, als die eines wohl¬
habenden Privatmannes? — Man gehe nur in unſere
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/109>, abgerufen am 24.11.2024.
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