Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

einziges Gesetz, das auf Ermunterung und Belohnung
ausgezeichneter Verdienste ginge. Dieß ist ein großer
Mangel. Denn wenn mir bei jedem Versehen ein
Abzug von meiner Gage in Aussicht steht, so muß mir
auch eine Ermunterung in Aussicht stehen, wenn ich
mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann.
Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten
und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe."

Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein,
Beide wegen des schönen Wetters sehr anmuthig sommer¬
haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tisch war leicht
und heiter. Man sprach über allerlei Vergnügungs-
Partieen der vergangenen Woche, sowie über Aus¬
sichten ähnlicher Art für die nächste.

"Wenn wir die schönen Abende behalten, sagte Frau
v. Goethe, so hätte ich große Lust, in diesen Tagen im
Park beim Gesang der Nachtigallen einen Thee zu
geben. Was sagen Sie, lieber Vater?" "Das könnte
sehr artig seyn! erwiederte Goethe. "Und Sie, Ecker¬
mann, sagte Frau v. Goethe, wie steht's mit Ihnen?
Darf man Sie einladen?" -- "Aber Ottilie! fiel
Fräulein Ulrike ein, wie kannst Du nur den Doctor
einladen! -- Er kommt ja doch nicht; und wenn er
kommt, so sitzt er wie auf Kohlen und man sieht es
ihm an, daß seine Seele wo anders ist und daß er
je eher je lieber wieder fort möchte." Wenn ich ehr¬
lich sagen soll, erwiederte ich, so streife ich freilich lieber

einziges Geſetz, das auf Ermunterung und Belohnung
ausgezeichneter Verdienſte ginge. Dieß iſt ein großer
Mangel. Denn wenn mir bei jedem Verſehen ein
Abzug von meiner Gage in Ausſicht ſteht, ſo muß mir
auch eine Ermunterung in Ausſicht ſtehen, wenn ich
mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann.
Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten
und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.“

Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein,
Beide wegen des ſchönen Wetters ſehr anmuthig ſommer¬
haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tiſch war leicht
und heiter. Man ſprach über allerlei Vergnügungs-
Partieen der vergangenen Woche, ſowie über Aus¬
ſichten ähnlicher Art für die nächſte.

„Wenn wir die ſchönen Abende behalten, ſagte Frau
v. Goethe, ſo hätte ich große Luſt, in dieſen Tagen im
Park beim Geſang der Nachtigallen einen Thee zu
geben. Was ſagen Sie, lieber Vater?“ „Das könnte
ſehr artig ſeyn! erwiederte Goethe. „Und Sie, Ecker¬
mann, ſagte Frau v. Goethe, wie ſteht's mit Ihnen?
Darf man Sie einladen?“ — „Aber Ottilie! fiel
Fräulein Ulrike ein, wie kannſt Du nur den Doctor
einladen! — Er kommt ja doch nicht; und wenn er
kommt, ſo ſitzt er wie auf Kohlen und man ſieht es
ihm an, daß ſeine Seele wo anders iſt und daß er
je eher je lieber wieder fort möchte.“ Wenn ich ehr¬
lich ſagen ſoll, erwiederte ich, ſo ſtreife ich freilich lieber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0115" n="93"/>
einziges Ge&#x017F;etz, das auf Ermunterung und Belohnung<lb/>
ausgezeichneter Verdien&#x017F;te ginge. Dieß i&#x017F;t ein großer<lb/>
Mangel. Denn wenn mir bei jedem Ver&#x017F;ehen ein<lb/>
Abzug von meiner Gage in Aus&#x017F;icht &#x017F;teht, &#x017F;o muß mir<lb/>
auch eine Ermunterung in Aus&#x017F;icht &#x017F;tehen, wenn ich<lb/>
mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann.<lb/>
Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten<lb/>
und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein,<lb/>
Beide wegen des &#x017F;chönen Wetters &#x017F;ehr anmuthig &#x017F;ommer¬<lb/>
haft gekleidet. Die Unterhaltung über Ti&#x017F;ch war leicht<lb/>
und heiter. Man &#x017F;prach über allerlei Vergnügungs-<lb/>
Partieen der vergangenen Woche, &#x017F;owie über Aus¬<lb/>
&#x017F;ichten ähnlicher Art für die näch&#x017F;te.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn wir die &#x017F;chönen Abende behalten, &#x017F;agte Frau<lb/>
v. Goethe, &#x017F;o hätte ich große Lu&#x017F;t, in die&#x017F;en Tagen im<lb/>
Park beim Ge&#x017F;ang der Nachtigallen einen Thee zu<lb/>
geben. Was &#x017F;agen Sie, lieber Vater?&#x201C; &#x201E;Das könnte<lb/>
&#x017F;ehr artig &#x017F;eyn! erwiederte Goethe. &#x201E;Und Sie, Ecker¬<lb/>
mann, &#x017F;agte Frau v. Goethe, wie &#x017F;teht's mit Ihnen?<lb/>
Darf man Sie einladen?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Aber Ottilie! fiel<lb/>
Fräulein Ulrike ein, wie kann&#x017F;t Du nur den Doctor<lb/>
einladen! &#x2014; Er kommt ja doch nicht; und wenn er<lb/>
kommt, &#x017F;o &#x017F;itzt er wie auf Kohlen und man &#x017F;ieht es<lb/>
ihm an, daß &#x017F;eine Seele wo anders i&#x017F;t und daß er<lb/>
je eher je lieber wieder fort möchte.&#x201C; Wenn ich ehr¬<lb/>
lich &#x017F;agen &#x017F;oll, erwiederte ich, &#x017F;o &#x017F;treife ich freilich lieber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0115] einziges Geſetz, das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienſte ginge. Dieß iſt ein großer Mangel. Denn wenn mir bei jedem Verſehen ein Abzug von meiner Gage in Ausſicht ſteht, ſo muß mir auch eine Ermunterung in Ausſicht ſtehen, wenn ich mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.“ Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein, Beide wegen des ſchönen Wetters ſehr anmuthig ſommer¬ haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tiſch war leicht und heiter. Man ſprach über allerlei Vergnügungs- Partieen der vergangenen Woche, ſowie über Aus¬ ſichten ähnlicher Art für die nächſte. „Wenn wir die ſchönen Abende behalten, ſagte Frau v. Goethe, ſo hätte ich große Luſt, in dieſen Tagen im Park beim Geſang der Nachtigallen einen Thee zu geben. Was ſagen Sie, lieber Vater?“ „Das könnte ſehr artig ſeyn! erwiederte Goethe. „Und Sie, Ecker¬ mann, ſagte Frau v. Goethe, wie ſteht's mit Ihnen? Darf man Sie einladen?“ — „Aber Ottilie! fiel Fräulein Ulrike ein, wie kannſt Du nur den Doctor einladen! — Er kommt ja doch nicht; und wenn er kommt, ſo ſitzt er wie auf Kohlen und man ſieht es ihm an, daß ſeine Seele wo anders iſt und daß er je eher je lieber wieder fort möchte.“ Wenn ich ehr¬ lich ſagen ſoll, erwiederte ich, ſo ſtreife ich freilich lieber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/115
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/115>, abgerufen am 24.11.2024.