einziges Gesetz, das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienste ginge. Dieß ist ein großer Mangel. Denn wenn mir bei jedem Versehen ein Abzug von meiner Gage in Aussicht steht, so muß mir auch eine Ermunterung in Aussicht stehen, wenn ich mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe."
Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein, Beide wegen des schönen Wetters sehr anmuthig sommer¬ haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tisch war leicht und heiter. Man sprach über allerlei Vergnügungs- Partieen der vergangenen Woche, sowie über Aus¬ sichten ähnlicher Art für die nächste.
"Wenn wir die schönen Abende behalten, sagte Frau v. Goethe, so hätte ich große Lust, in diesen Tagen im Park beim Gesang der Nachtigallen einen Thee zu geben. Was sagen Sie, lieber Vater?" "Das könnte sehr artig seyn! erwiederte Goethe. "Und Sie, Ecker¬ mann, sagte Frau v. Goethe, wie steht's mit Ihnen? Darf man Sie einladen?" -- "Aber Ottilie! fiel Fräulein Ulrike ein, wie kannst Du nur den Doctor einladen! -- Er kommt ja doch nicht; und wenn er kommt, so sitzt er wie auf Kohlen und man sieht es ihm an, daß seine Seele wo anders ist und daß er je eher je lieber wieder fort möchte." Wenn ich ehr¬ lich sagen soll, erwiederte ich, so streife ich freilich lieber
einziges Geſetz, das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienſte ginge. Dieß iſt ein großer Mangel. Denn wenn mir bei jedem Verſehen ein Abzug von meiner Gage in Ausſicht ſteht, ſo muß mir auch eine Ermunterung in Ausſicht ſtehen, wenn ich mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.“
Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein, Beide wegen des ſchönen Wetters ſehr anmuthig ſommer¬ haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tiſch war leicht und heiter. Man ſprach über allerlei Vergnügungs- Partieen der vergangenen Woche, ſowie über Aus¬ ſichten ähnlicher Art für die nächſte.
„Wenn wir die ſchönen Abende behalten, ſagte Frau v. Goethe, ſo hätte ich große Luſt, in dieſen Tagen im Park beim Geſang der Nachtigallen einen Thee zu geben. Was ſagen Sie, lieber Vater?“ „Das könnte ſehr artig ſeyn! erwiederte Goethe. „Und Sie, Ecker¬ mann, ſagte Frau v. Goethe, wie ſteht's mit Ihnen? Darf man Sie einladen?“ — „Aber Ottilie! fiel Fräulein Ulrike ein, wie kannſt Du nur den Doctor einladen! — Er kommt ja doch nicht; und wenn er kommt, ſo ſitzt er wie auf Kohlen und man ſieht es ihm an, daß ſeine Seele wo anders iſt und daß er je eher je lieber wieder fort möchte.“ Wenn ich ehr¬ lich ſagen ſoll, erwiederte ich, ſo ſtreife ich freilich lieber
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einziges Geſetz, das auf Ermunterung und Belohnung
ausgezeichneter Verdienſte ginge. Dieß iſt ein großer
Mangel. Denn wenn mir bei jedem Verſehen ein
Abzug von meiner Gage in Ausſicht ſteht, ſo muß mir
auch eine Ermunterung in Ausſicht ſtehen, wenn ich
mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann.
Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten
und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.“
Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein,
Beide wegen des ſchönen Wetters ſehr anmuthig ſommer¬
haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tiſch war leicht
und heiter. Man ſprach über allerlei Vergnügungs-
Partieen der vergangenen Woche, ſowie über Aus¬
ſichten ähnlicher Art für die nächſte.
„Wenn wir die ſchönen Abende behalten, ſagte Frau
v. Goethe, ſo hätte ich große Luſt, in dieſen Tagen im
Park beim Geſang der Nachtigallen einen Thee zu
geben. Was ſagen Sie, lieber Vater?“ „Das könnte
ſehr artig ſeyn! erwiederte Goethe. „Und Sie, Ecker¬
mann, ſagte Frau v. Goethe, wie ſteht's mit Ihnen?
Darf man Sie einladen?“ — „Aber Ottilie! fiel
Fräulein Ulrike ein, wie kannſt Du nur den Doctor
einladen! — Er kommt ja doch nicht; und wenn er
kommt, ſo ſitzt er wie auf Kohlen und man ſieht es
ihm an, daß ſeine Seele wo anders iſt und daß er
je eher je lieber wieder fort möchte.“ Wenn ich ehr¬
lich ſagen ſoll, erwiederte ich, ſo ſtreife ich freilich lieber
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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