Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

virt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im
Bilde wahr erscheine, so muß sie durch Hinstellung
der einwirkenden Dinge begründet werden."

"Ich treffe an einem Bach wohlgeformte Steine,
deren der Luft ausgesetzte Stellen mit grünem Moos
malerisch überzogen sind. Es ist aber nicht die
Feuchtigkeit des Wassers allein, was diese Moosbil¬
dung verursachte; sondern es ist etwa ein nördlicher
Abhang, oder schattende Bäume und Gebüsch, was
an dieser Stelle des Baches auf jene Bildung ein¬
wirkte. Lasse ich aber diese einwirkenden Ursachen in
meinem Bilde hinweg, so wird es ohne Wahrheit
seyn und ohne die eigentliche überzeugende Kraft."

"So hat der Stand eines Baumes, die Art des
Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben
ihm, einen großen Einfluß auf seine Bildung. Eine
Eiche, die auf der windigen westlichen Spitze eines
felsigen Hügels steht, wird eine ganz andere Form
erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden
eines geschützten Thales grünt. Beide können in
ihrer Art schön seyn, aber sie werden einen sehr ver¬
schiedenen Charakter haben und können daher in einer
künstlerisch erfundenen Landschaft wiederum nur für
einen solchen Stand gebraucht werden, wie sie ihn
in der Natur hatten. Und deßhalb ist dem Künstler
die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der jedesmalige
Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung."

8*

virt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im
Bilde wahr erſcheine, ſo muß ſie durch Hinſtellung
der einwirkenden Dinge begründet werden.“

„Ich treffe an einem Bach wohlgeformte Steine,
deren der Luft ausgeſetzte Stellen mit grünem Moos
maleriſch überzogen ſind. Es iſt aber nicht die
Feuchtigkeit des Waſſers allein, was dieſe Moosbil¬
dung verurſachte; ſondern es iſt etwa ein nördlicher
Abhang, oder ſchattende Bäume und Gebüſch, was
an dieſer Stelle des Baches auf jene Bildung ein¬
wirkte. Laſſe ich aber dieſe einwirkenden Urſachen in
meinem Bilde hinweg, ſo wird es ohne Wahrheit
ſeyn und ohne die eigentliche überzeugende Kraft.“

„So hat der Stand eines Baumes, die Art des
Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben
ihm, einen großen Einfluß auf ſeine Bildung. Eine
Eiche, die auf der windigen weſtlichen Spitze eines
felſigen Hügels ſteht, wird eine ganz andere Form
erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden
eines geſchützten Thales grünt. Beide können in
ihrer Art ſchön ſeyn, aber ſie werden einen ſehr ver¬
ſchiedenen Charakter haben und können daher in einer
künſtleriſch erfundenen Landſchaft wiederum nur für
einen ſolchen Stand gebraucht werden, wie ſie ihn
in der Natur hatten. Und deßhalb iſt dem Künſtler
die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der jedesmalige
Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung.“

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0137" n="115"/>
virt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im<lb/>
Bilde wahr er&#x017F;cheine, &#x017F;o muß &#x017F;ie durch Hin&#x017F;tellung<lb/>
der einwirkenden Dinge begründet werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich treffe an einem Bach wohlgeformte Steine,<lb/>
deren der Luft ausge&#x017F;etzte Stellen mit grünem Moos<lb/>
maleri&#x017F;ch überzogen &#x017F;ind. Es i&#x017F;t aber nicht die<lb/>
Feuchtigkeit des Wa&#x017F;&#x017F;ers allein, was die&#x017F;e Moosbil¬<lb/>
dung verur&#x017F;achte; &#x017F;ondern es i&#x017F;t etwa ein nördlicher<lb/>
Abhang, oder &#x017F;chattende Bäume und Gebü&#x017F;ch, was<lb/>
an die&#x017F;er Stelle des Baches auf jene Bildung ein¬<lb/>
wirkte. La&#x017F;&#x017F;e ich aber die&#x017F;e einwirkenden Ur&#x017F;achen in<lb/>
meinem Bilde hinweg, &#x017F;o wird es ohne Wahrheit<lb/>
&#x017F;eyn und ohne die eigentliche überzeugende Kraft.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So hat der Stand eines Baumes, die Art des<lb/>
Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben<lb/>
ihm, einen großen Einfluß auf &#x017F;eine Bildung. Eine<lb/>
Eiche, die auf der windigen we&#x017F;tlichen Spitze eines<lb/>
fel&#x017F;igen Hügels &#x017F;teht, wird eine ganz andere Form<lb/>
erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden<lb/>
eines ge&#x017F;chützten Thales grünt. Beide können in<lb/>
ihrer Art &#x017F;chön &#x017F;eyn, aber &#x017F;ie werden einen &#x017F;ehr ver¬<lb/>
&#x017F;chiedenen Charakter haben und können daher in einer<lb/>
kün&#x017F;tleri&#x017F;ch erfundenen Land&#x017F;chaft wiederum nur für<lb/>
einen &#x017F;olchen Stand gebraucht werden, wie &#x017F;ie ihn<lb/>
in der Natur hatten. Und deßhalb i&#x017F;t dem Kün&#x017F;tler<lb/>
die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der jedesmalige<lb/>
Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung.&#x201C;<lb/></p>
          <fw place="bottom" type="sig">8*<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0137] virt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im Bilde wahr erſcheine, ſo muß ſie durch Hinſtellung der einwirkenden Dinge begründet werden.“ „Ich treffe an einem Bach wohlgeformte Steine, deren der Luft ausgeſetzte Stellen mit grünem Moos maleriſch überzogen ſind. Es iſt aber nicht die Feuchtigkeit des Waſſers allein, was dieſe Moosbil¬ dung verurſachte; ſondern es iſt etwa ein nördlicher Abhang, oder ſchattende Bäume und Gebüſch, was an dieſer Stelle des Baches auf jene Bildung ein¬ wirkte. Laſſe ich aber dieſe einwirkenden Urſachen in meinem Bilde hinweg, ſo wird es ohne Wahrheit ſeyn und ohne die eigentliche überzeugende Kraft.“ „So hat der Stand eines Baumes, die Art des Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben ihm, einen großen Einfluß auf ſeine Bildung. Eine Eiche, die auf der windigen weſtlichen Spitze eines felſigen Hügels ſteht, wird eine ganz andere Form erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden eines geſchützten Thales grünt. Beide können in ihrer Art ſchön ſeyn, aber ſie werden einen ſehr ver¬ ſchiedenen Charakter haben und können daher in einer künſtleriſch erfundenen Landſchaft wiederum nur für einen ſolchen Stand gebraucht werden, wie ſie ihn in der Natur hatten. Und deßhalb iſt dem Künſtler die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der jedesmalige Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung.“ 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/137
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/137>, abgerufen am 24.11.2024.