sondern auch ein Fürst ist, so stellt er den Satz auf, daß, da der Mann die tragische Macht des Staates vorstelle, dieses kein Anderer seyn könne, als derjenige, welcher die Persönlichkeit des Staates selber sey, nämlich der Fürst, und daß von allen Personen der Mann als Fürst diejenige Person sey, welche die sittlichste Staatstugend übe.
"Das sind Behauptungen, erwiederte Goethe mit einigem Lächeln, an die wohl Niemand glauben wird. Kreon handelt auch keineswegs aus Staatstugend, son¬ dern aus Haß gegen den Todten. Wenn Polineikes sein väterliches Erbtheil, woraus man ihn gewaltsam vertrieben, wieder zu erobern suchte, so lag darin keines¬ wegs ein so unerhörtes Vergehen gegen den Staat, daß sein Tod nicht genug gewesen wäre und daß es noch der Bestrafung des unschuldigen Leichnams be¬ durft hätte."
"Man sollte überhaupt nie eine Handlungsweise eine Staatstugend nennen, die gegen die Tugend im Allgemeinen geht. Wenn Kreon den Polineikes zu beerdigen verbietet und durch den verwesenden Leich¬ nam nicht bloß die Luft verpestet, sondern auch Ursache ist, daß Hunde und Raubvögel die abgerissenen Stücke des Todten umherschleppen und damit sogar die Altäre besudeln, so ist eine solche Menschen und Götter belei¬ digende Handlungsweise keinesweges eine Staats- Tugend, sondern vielmehr ein Staats-Verbrechen.
ſondern auch ein Fürſt iſt, ſo ſtellt er den Satz auf, daß, da der Mann die tragiſche Macht des Staates vorſtelle, dieſes kein Anderer ſeyn könne, als derjenige, welcher die Perſönlichkeit des Staates ſelber ſey, nämlich der Fürſt, und daß von allen Perſonen der Mann als Fürſt diejenige Perſon ſey, welche die ſittlichſte Staatstugend übe.
„Das ſind Behauptungen, erwiederte Goethe mit einigem Lächeln, an die wohl Niemand glauben wird. Kreon handelt auch keineswegs aus Staatstugend, ſon¬ dern aus Haß gegen den Todten. Wenn Polineikes ſein väterliches Erbtheil, woraus man ihn gewaltſam vertrieben, wieder zu erobern ſuchte, ſo lag darin keines¬ wegs ein ſo unerhörtes Vergehen gegen den Staat, daß ſein Tod nicht genug geweſen wäre und daß es noch der Beſtrafung des unſchuldigen Leichnams be¬ durft hätte.“
„Man ſollte überhaupt nie eine Handlungsweiſe eine Staatstugend nennen, die gegen die Tugend im Allgemeinen geht. Wenn Kreon den Polineikes zu beerdigen verbietet und durch den verweſenden Leich¬ nam nicht bloß die Luft verpeſtet, ſondern auch Urſache iſt, daß Hunde und Raubvögel die abgeriſſenen Stücke des Todten umherſchleppen und damit ſogar die Altäre beſudeln, ſo iſt eine ſolche Menſchen und Götter belei¬ digende Handlungsweiſe keinesweges eine Staats- Tugend, ſondern vielmehr ein Staats-Verbrechen.
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ſondern auch ein Fürſt iſt, ſo ſtellt er den Satz auf,
daß, da der Mann die tragiſche Macht des Staates
vorſtelle, dieſes kein Anderer ſeyn könne, als derjenige,
welcher die Perſönlichkeit des Staates ſelber
ſey, nämlich der Fürſt, und daß von allen Perſonen
der Mann als Fürſt diejenige Perſon ſey, welche die
ſittlichſte Staatstugend übe.
„Das ſind Behauptungen, erwiederte Goethe mit
einigem Lächeln, an die wohl Niemand glauben wird.
Kreon handelt auch keineswegs aus Staatstugend, ſon¬
dern aus Haß gegen den Todten. Wenn Polineikes
ſein väterliches Erbtheil, woraus man ihn gewaltſam
vertrieben, wieder zu erobern ſuchte, ſo lag darin keines¬
wegs ein ſo unerhörtes Vergehen gegen den Staat,
daß ſein Tod nicht genug geweſen wäre und daß es
noch der Beſtrafung des unſchuldigen Leichnams be¬
durft hätte.“
„Man ſollte überhaupt nie eine Handlungsweiſe
eine Staatstugend nennen, die gegen die Tugend im
Allgemeinen geht. Wenn Kreon den Polineikes zu
beerdigen verbietet und durch den verweſenden Leich¬
nam nicht bloß die Luft verpeſtet, ſondern auch Urſache
iſt, daß Hunde und Raubvögel die abgeriſſenen Stücke
des Todten umherſchleppen und damit ſogar die Altäre
beſudeln, ſo iſt eine ſolche Menſchen und Götter belei¬
digende Handlungsweiſe keinesweges eine Staats-
Tugend, ſondern vielmehr ein Staats-Verbrechen.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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