Lassen, wahrscheinlich Niemand etwas verstand. Schle¬ gel war höchst sauber angezogen und höchst jugendlichen, blühenden Ansehens, so daß einige der Anwesenden be¬ haupten wollten, er scheine nicht unerfahren in Anwen¬ dung kosmetischer Mittel.
Goethe zog mich in ein Fenster. "Nun? wie ge¬ fällt er Ihnen." Noch ganz so, wie sonst, erwiederte ich. "Er ist freilich in vieler Hinsicht kein Mann, fuhr Goethe fort; aber doch kann man ihm, seiner vielseitigen gelehrten Kenntnisse und seiner großen Verdienste wegen, schon etwas zu Gute halten."
Mittwoch, den 25. April 1827.
Bei Goethe zu Tische mit Herrn Dr. Lassen. Schle¬ gel war heute abermals an Hof zur Tafel gezogen. Herr Lassen entwickelte große Kenntnisse der indischen Poesie, die Goethen höchst willkommen zu seyn schienen, um sein eigenes immerhin nur sehr lückenhaftes Wissen in diesen Dingen zu ergänzen.
Ich war Abends wieder einige Augenblicke bei Goethe. Er erzählte mir, daß Schlegel in der Däm¬ merung bei ihm gewesen und daß er mit ihm ein höchst bedeutendes Gespräch über literarische und historische Gegenstände geführt, das für ihn sehr belehrend ge¬ wesen. "Nur muß man, fügte er hinzu, keine Trauben von den Dornen und keine Feigen von den Disteln ver¬ langen; übrigens ist Alles ganz vortrefflich."
Laſſen, wahrſcheinlich Niemand etwas verſtand. Schle¬ gel war höchſt ſauber angezogen und höchſt jugendlichen, blühenden Anſehens, ſo daß einige der Anweſenden be¬ haupten wollten, er ſcheine nicht unerfahren in Anwen¬ dung kosmetiſcher Mittel.
Goethe zog mich in ein Fenſter. „Nun? wie ge¬ fällt er Ihnen.“ Noch ganz ſo, wie ſonſt, erwiederte ich. „Er iſt freilich in vieler Hinſicht kein Mann, fuhr Goethe fort; aber doch kann man ihm, ſeiner vielſeitigen gelehrten Kenntniſſe und ſeiner großen Verdienſte wegen, ſchon etwas zu Gute halten.“
Mittwoch, den 25. April 1827.
Bei Goethe zu Tiſche mit Herrn Dr. Laſſen. Schle¬ gel war heute abermals an Hof zur Tafel gezogen. Herr Laſſen entwickelte große Kenntniſſe der indiſchen Poeſie, die Goethen höchſt willkommen zu ſeyn ſchienen, um ſein eigenes immerhin nur ſehr lückenhaftes Wiſſen in dieſen Dingen zu ergänzen.
Ich war Abends wieder einige Augenblicke bei Goethe. Er erzählte mir, daß Schlegel in der Däm¬ merung bei ihm geweſen und daß er mit ihm ein höchſt bedeutendes Geſpräch über literariſche und hiſtoriſche Gegenſtände geführt, das für ihn ſehr belehrend ge¬ weſen. „Nur muß man, fügte er hinzu, keine Trauben von den Dornen und keine Feigen von den Diſteln ver¬ langen; übrigens iſt Alles ganz vortrefflich.“
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Laſſen, wahrſcheinlich Niemand etwas verſtand. Schle¬
gel war höchſt ſauber angezogen und höchſt jugendlichen,
blühenden Anſehens, ſo daß einige der Anweſenden be¬
haupten wollten, er ſcheine nicht unerfahren in Anwen¬
dung kosmetiſcher Mittel.
Goethe zog mich in ein Fenſter. „Nun? wie ge¬
fällt er Ihnen.“ Noch ganz ſo, wie ſonſt, erwiederte
ich. „Er iſt freilich in vieler Hinſicht kein Mann, fuhr
Goethe fort; aber doch kann man ihm, ſeiner vielſeitigen
gelehrten Kenntniſſe und ſeiner großen Verdienſte wegen,
ſchon etwas zu Gute halten.“
Mittwoch, den 25. April 1827.
Bei Goethe zu Tiſche mit Herrn Dr. Laſſen. Schle¬
gel war heute abermals an Hof zur Tafel gezogen.
Herr Laſſen entwickelte große Kenntniſſe der indiſchen
Poeſie, die Goethen höchſt willkommen zu ſeyn ſchienen,
um ſein eigenes immerhin nur ſehr lückenhaftes Wiſſen
in dieſen Dingen zu ergänzen.
Ich war Abends wieder einige Augenblicke bei
Goethe. Er erzählte mir, daß Schlegel in der Däm¬
merung bei ihm geweſen und daß er mit ihm ein höchſt
bedeutendes Geſpräch über literariſche und hiſtoriſche
Gegenſtände geführt, das für ihn ſehr belehrend ge¬
weſen. „Nur muß man, fügte er hinzu, keine Trauben
von den Dornen und keine Feigen von den Diſteln ver¬
langen; übrigens iſt Alles ganz vortrefflich.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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