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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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bedeutenden menschlichen Figuren zu staffiren, wo
denn die Sage vom Tell mir als sehr erwünscht zu
statten kam."

"Den Tell dachte ich mir als einen urkräftigen,
in sich selbst zufriedenen, kindlich-unbewußten Helden¬
menschen, der als Lastträger die Cantone durchwandert,
überall gekannt und geliebt ist, überall hülfreich, übri¬
gens ruhig sein Gewerbe treibend, für Weib und Kin¬
der sorgend, und sich nicht kümmernd, wer Herr oder
Knecht sey."

"Den Geßler dachte ich mir dagegen zwar als
einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen
Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß
macht, und gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm
Spaß macht, und dem übrigens das Volk und dessen
Wohl und Wehe so völlig gleichgültige Dinge sind,
als ob sie gar nicht existirten."

"Das Höhere und Bessere der menschlichen Natur
dagegen, die Liebe zum heimathlichen Boden, das Ge¬
fühl der Freiheit und Sicherheit unter dem Schutze
vaterländischer Gesetze, das Gefühl ferner der Schmach,
sich von einem fremden Wüstling unterjocht und gele¬
gentlich mißhandelt zu sehen, und endlich die zum Ent¬
schluß reifende Willenskraft, ein so verhaßtes Joch
abzuwerfen, -- alles dieses Höhere und Gute hatte ich
den bekannten edlen Männern Walter Fürst,
Stauffacher, Winkelried und Andern zugetheilt,

bedeutenden menſchlichen Figuren zu ſtaffiren, wo
denn die Sage vom Tell mir als ſehr erwünſcht zu
ſtatten kam.“

„Den Tell dachte ich mir als einen urkräftigen,
in ſich ſelbſt zufriedenen, kindlich-unbewußten Helden¬
menſchen, der als Laſtträger die Cantone durchwandert,
überall gekannt und geliebt iſt, überall hülfreich, übri¬
gens ruhig ſein Gewerbe treibend, für Weib und Kin¬
der ſorgend, und ſich nicht kümmernd, wer Herr oder
Knecht ſey.“

„Den Geßler dachte ich mir dagegen zwar als
einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen
Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß
macht, und gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm
Spaß macht, und dem übrigens das Volk und deſſen
Wohl und Wehe ſo völlig gleichgültige Dinge ſind,
als ob ſie gar nicht exiſtirten.“

„Das Höhere und Beſſere der menſchlichen Natur
dagegen, die Liebe zum heimathlichen Boden, das Ge¬
fühl der Freiheit und Sicherheit unter dem Schutze
vaterländiſcher Geſetze, das Gefühl ferner der Schmach,
ſich von einem fremden Wüſtling unterjocht und gele¬
gentlich mißhandelt zu ſehen, und endlich die zum Ent¬
ſchluß reifende Willenskraft, ein ſo verhaßtes Joch
abzuwerfen, — alles dieſes Höhere und Gute hatte ich
den bekannten edlen Männern Walter Fürſt,
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[169/0191] bedeutenden menſchlichen Figuren zu ſtaffiren, wo denn die Sage vom Tell mir als ſehr erwünſcht zu ſtatten kam.“ „Den Tell dachte ich mir als einen urkräftigen, in ſich ſelbſt zufriedenen, kindlich-unbewußten Helden¬ menſchen, der als Laſtträger die Cantone durchwandert, überall gekannt und geliebt iſt, überall hülfreich, übri¬ gens ruhig ſein Gewerbe treibend, für Weib und Kin¬ der ſorgend, und ſich nicht kümmernd, wer Herr oder Knecht ſey.“ „Den Geßler dachte ich mir dagegen zwar als einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß macht, und gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das Volk und deſſen Wohl und Wehe ſo völlig gleichgültige Dinge ſind, als ob ſie gar nicht exiſtirten.“ „Das Höhere und Beſſere der menſchlichen Natur dagegen, die Liebe zum heimathlichen Boden, das Ge¬ fühl der Freiheit und Sicherheit unter dem Schutze vaterländiſcher Geſetze, das Gefühl ferner der Schmach, ſich von einem fremden Wüſtling unterjocht und gele¬ gentlich mißhandelt zu ſehen, und endlich die zum Ent¬ ſchluß reifende Willenskraft, ein ſo verhaßtes Joch abzuwerfen, — alles dieſes Höhere und Gute hatte ich den bekannten edlen Männern Walter Fürſt, Stauffacher, Winkelried und Andern zugetheilt,

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/191>, abgerufen am 23.11.2024.