kommen. Ist denn die Mauser an eine gewisse Epoche gebunden und mausern sich alle Vögel zugleich?"
Bei den meisten Vögeln, erwiederte ich, tritt sie sogleich nach vollendeter Brütezeit ein; das heißt, sobald die Jungen des letzten Geheckes so weit sind, daß sie sich selber helfen können. Nun fragt es sich aber, ob der Vogel von diesem Zeitpunkte des fertigen letzten Geheckes, bis zu dem seines Wegzugs, zur Mauser noch den gehörigen Raum hat. Hat er ihn, so mau¬ sert er sich hier und zieht mit frischem Gefieder fort. Hat er ihn nicht, so zieht er mit seinem alten Ge¬ fieder fort und mausert sich später im warmen Süden. Denn die Vögel kommen im Frühling nicht zu gleicher Zeit zu uns, auch ziehen sie im Herbst nicht zu gleicher Zeit fort. Und dieses rührt daher, daß die eine Art sich aus einiger Kälte und rauhem Wetter weniger macht und sie mehr ertragen kann, als eine andere. Ein Vogel aber, der früh bei uns ankommt, zieht spät weg, und ein Vogel, der spät bei uns ankommt, zieht früh weg.
So ist schon unter den Grasmücken, die doch zu einem Geschlecht gehören, ein großer Unterschied. Die klappernde Grasmücke, oder das Müllerchen, läßt sich schon Ende März bei uns hören; vierzehn Tage spä¬ ter kommt die schwarzköpfige, oder der Mönch; sodann etwa nach einer Woche die Nachtigall; und erst ganz zu Ende April, oder Anfangs May, die graue. Alle
kommen. Iſt denn die Mauſer an eine gewiſſe Epoche gebunden und mauſern ſich alle Vögel zugleich?“
Bei den meiſten Vögeln, erwiederte ich, tritt ſie ſogleich nach vollendeter Brütezeit ein; das heißt, ſobald die Jungen des letzten Geheckes ſo weit ſind, daß ſie ſich ſelber helfen können. Nun fragt es ſich aber, ob der Vogel von dieſem Zeitpunkte des fertigen letzten Geheckes, bis zu dem ſeines Wegzugs, zur Mauſer noch den gehörigen Raum hat. Hat er ihn, ſo mau¬ ſert er ſich hier und zieht mit friſchem Gefieder fort. Hat er ihn nicht, ſo zieht er mit ſeinem alten Ge¬ fieder fort und mauſert ſich ſpäter im warmen Süden. Denn die Vögel kommen im Frühling nicht zu gleicher Zeit zu uns, auch ziehen ſie im Herbſt nicht zu gleicher Zeit fort. Und dieſes rührt daher, daß die eine Art ſich aus einiger Kälte und rauhem Wetter weniger macht und ſie mehr ertragen kann, als eine andere. Ein Vogel aber, der früh bei uns ankommt, zieht ſpät weg, und ein Vogel, der ſpät bei uns ankommt, zieht früh weg.
So iſt ſchon unter den Grasmücken, die doch zu einem Geſchlecht gehören, ein großer Unterſchied. Die klappernde Grasmücke, oder das Müllerchen, läßt ſich ſchon Ende März bei uns hören; vierzehn Tage ſpä¬ ter kommt die ſchwarzköpfige, oder der Mönch; ſodann etwa nach einer Woche die Nachtigall; und erſt ganz zu Ende April, oder Anfangs May, die graue. Alle
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0204"n="182"/>
kommen. Iſt denn die Mauſer an eine gewiſſe Epoche<lb/>
gebunden und mauſern ſich alle Vögel zugleich?“</p><lb/><p>Bei den meiſten Vögeln, erwiederte ich, tritt ſie<lb/>ſogleich nach vollendeter Brütezeit ein; das heißt, ſobald<lb/>
die Jungen des letzten Geheckes ſo weit ſind, daß ſie<lb/>ſich ſelber helfen können. Nun fragt es ſich aber, ob<lb/>
der Vogel von dieſem Zeitpunkte des fertigen letzten<lb/>
Geheckes, bis zu dem ſeines Wegzugs, zur Mauſer<lb/>
noch den gehörigen Raum hat. Hat er ihn, ſo mau¬<lb/>ſert er ſich hier und zieht mit friſchem Gefieder fort.<lb/>
Hat er ihn nicht, ſo zieht er mit ſeinem alten Ge¬<lb/>
fieder fort und mauſert ſich ſpäter im warmen Süden.<lb/>
Denn die Vögel kommen im Frühling nicht zu gleicher<lb/>
Zeit zu uns, auch ziehen ſie im Herbſt nicht zu gleicher<lb/>
Zeit fort. Und dieſes rührt daher, daß die eine Art<lb/>ſich aus einiger Kälte und rauhem Wetter weniger<lb/>
macht und ſie mehr ertragen kann, als eine andere.<lb/>
Ein Vogel aber, der früh bei uns ankommt, zieht ſpät<lb/>
weg, und ein Vogel, der ſpät bei uns ankommt, zieht<lb/>
früh weg.</p><lb/><p>So iſt ſchon unter den Grasmücken, die doch zu<lb/><hirendition="#g">einem Geſchlecht</hi> gehören, ein großer Unterſchied.<lb/>
Die klappernde Grasmücke, oder das Müllerchen, läßt<lb/>ſich ſchon Ende März bei uns hören; vierzehn Tage ſpä¬<lb/>
ter kommt die ſchwarzköpfige, oder der Mönch; ſodann<lb/>
etwa nach einer Woche die Nachtigall; und erſt ganz<lb/>
zu Ende April, oder Anfangs May, die graue. Alle<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[182/0204]
kommen. Iſt denn die Mauſer an eine gewiſſe Epoche
gebunden und mauſern ſich alle Vögel zugleich?“
Bei den meiſten Vögeln, erwiederte ich, tritt ſie
ſogleich nach vollendeter Brütezeit ein; das heißt, ſobald
die Jungen des letzten Geheckes ſo weit ſind, daß ſie
ſich ſelber helfen können. Nun fragt es ſich aber, ob
der Vogel von dieſem Zeitpunkte des fertigen letzten
Geheckes, bis zu dem ſeines Wegzugs, zur Mauſer
noch den gehörigen Raum hat. Hat er ihn, ſo mau¬
ſert er ſich hier und zieht mit friſchem Gefieder fort.
Hat er ihn nicht, ſo zieht er mit ſeinem alten Ge¬
fieder fort und mauſert ſich ſpäter im warmen Süden.
Denn die Vögel kommen im Frühling nicht zu gleicher
Zeit zu uns, auch ziehen ſie im Herbſt nicht zu gleicher
Zeit fort. Und dieſes rührt daher, daß die eine Art
ſich aus einiger Kälte und rauhem Wetter weniger
macht und ſie mehr ertragen kann, als eine andere.
Ein Vogel aber, der früh bei uns ankommt, zieht ſpät
weg, und ein Vogel, der ſpät bei uns ankommt, zieht
früh weg.
So iſt ſchon unter den Grasmücken, die doch zu
einem Geſchlecht gehören, ein großer Unterſchied.
Die klappernde Grasmücke, oder das Müllerchen, läßt
ſich ſchon Ende März bei uns hören; vierzehn Tage ſpä¬
ter kommt die ſchwarzköpfige, oder der Mönch; ſodann
etwa nach einer Woche die Nachtigall; und erſt ganz
zu Ende April, oder Anfangs May, die graue. Alle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/204>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.