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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Sodann wendete sich das Gespräch auf das Wesen
der Dialektik. -- Es ist im Grunde nichts weiter,
sagte Hegel, als der geregelte, methodisch ausgebildete
Widerspruchsgeist, der jedem Menschen inwohnt, und
welche Gabe sich groß erweiset in Unterscheidung des
Wahren vom Falschen.

"Wenn nur, fiel Goethe ein, solche geistigen Künste
und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu
verwendet würden, um das Falsche wahr und das Wahre
falsch zu machen!"

Dergleichen geschieht wohl, erwiederte Hegel; aber
nur von Leuten, die geistig krank sind.

"Da lobe ich mir, sagte Goethe, das Studium der
Natur, das eine solche Krankheit nicht aufkommen
läßt. Denn hier haben wir es mit dem unendlich und
ewig Wahren zu thun, das Jeden, der nicht durchaus
rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung sei¬
nes Gegenstandes verfährt, sogleich als unzulänglich
verwirft. Auch bin ich gewiß, daß mancher dialektisch
Kranke im Studium der Natur eine wohlthätige Hei¬
lung finden könnte."

Wir waren noch im besten Gespräch und in der
heitersten Unterhaltung, als Zelter aufstand und, ohne
ein Wort zu sagen, hinausging. Wir wußten, es that
ihm leid von Goethen Abschied zu nehmen, und daß
er diesen zarten Ausweg wähle, um über einen schmerz¬
lichen Moment hinwegzukommen.


Sodann wendete ſich das Geſpräch auf das Weſen
der Dialektik. — Es iſt im Grunde nichts weiter,
ſagte Hegel, als der geregelte, methodiſch ausgebildete
Widerſpruchsgeiſt, der jedem Menſchen inwohnt, und
welche Gabe ſich groß erweiſet in Unterſcheidung des
Wahren vom Falſchen.

„Wenn nur, fiel Goethe ein, ſolche geiſtigen Künſte
und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu
verwendet würden, um das Falſche wahr und das Wahre
falſch zu machen!“

Dergleichen geſchieht wohl, erwiederte Hegel; aber
nur von Leuten, die geiſtig krank ſind.

„Da lobe ich mir, ſagte Goethe, das Studium der
Natur, das eine ſolche Krankheit nicht aufkommen
läßt. Denn hier haben wir es mit dem unendlich und
ewig Wahren zu thun, das Jeden, der nicht durchaus
rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung ſei¬
nes Gegenſtandes verfährt, ſogleich als unzulänglich
verwirft. Auch bin ich gewiß, daß mancher dialektiſch
Kranke im Studium der Natur eine wohlthätige Hei¬
lung finden könnte.“

Wir waren noch im beſten Geſpräch und in der
heiterſten Unterhaltung, als Zelter aufſtand und, ohne
ein Wort zu ſagen, hinausging. Wir wußten, es that
ihm leid von Goethen Abſchied zu nehmen, und daß
er dieſen zarten Ausweg wähle, um über einen ſchmerz¬
lichen Moment hinwegzukommen.


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[222/0244] Sodann wendete ſich das Geſpräch auf das Weſen der Dialektik. — Es iſt im Grunde nichts weiter, ſagte Hegel, als der geregelte, methodiſch ausgebildete Widerſpruchsgeiſt, der jedem Menſchen inwohnt, und welche Gabe ſich groß erweiſet in Unterſcheidung des Wahren vom Falſchen. „Wenn nur, fiel Goethe ein, ſolche geiſtigen Künſte und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu verwendet würden, um das Falſche wahr und das Wahre falſch zu machen!“ Dergleichen geſchieht wohl, erwiederte Hegel; aber nur von Leuten, die geiſtig krank ſind. „Da lobe ich mir, ſagte Goethe, das Studium der Natur, das eine ſolche Krankheit nicht aufkommen läßt. Denn hier haben wir es mit dem unendlich und ewig Wahren zu thun, das Jeden, der nicht durchaus rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung ſei¬ nes Gegenſtandes verfährt, ſogleich als unzulänglich verwirft. Auch bin ich gewiß, daß mancher dialektiſch Kranke im Studium der Natur eine wohlthätige Hei¬ lung finden könnte.“ Wir waren noch im beſten Geſpräch und in der heiterſten Unterhaltung, als Zelter aufſtand und, ohne ein Wort zu ſagen, hinausging. Wir wußten, es that ihm leid von Goethen Abſchied zu nehmen, und daß er dieſen zarten Ausweg wähle, um über einen ſchmerz¬ lichen Moment hinwegzukommen.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/244>, abgerufen am 21.11.2024.