leicht zu vergessen ist. Beide waren jünger, als man sie gewöhnlich zu denken pflegt, und zwar mochte Me¬ phistopheles ein und zwanzig Jahre seyn, wenn Faust sieben und zwanzig haben konnte. Ersterer erschien durchaus vornehm, heiter und frei; er schritt so leicht einher, wie man sich etwa den Merkur denkt. Sein Gesicht war schön, ohne bösartig, und man hätte nicht erkennen mögen, daß es der Teufel sey, wenn nicht von seiner jugendlichen Stirn zwei zierliche Hörner sich erhoben und seitwärts gebogen hätten, so wie wohl ein schöner Haarwuchs sich erhebt und zu beiden Sei¬ ten umbiegt. Als Faust im Gehen sein Gesicht redend mir zuwandte, war ich erstaunt über den eigenartigen Ausdruck. Die edelste Sittlichkeit und Herzensgüte sprach aus jedem Zuge, als das Vorwaltende, Ursprüng¬ liche seiner Natur. Man sah ihm an, als wären alle menschlichen Freuden, Leiden und Gedanken, trotz seiner Jugend, bereits durch seine Seele gegangen, -- so durch¬ gearbeitet war sein Gesicht! Er war ein wenig blaß und so anziehend, daß man sich nicht satt an ihm sehen konnte; ich suchte mir seine Züge einzuprägen, um sie zu zeichnen. Faust ging rechts, Mephistopheles zwischen uns Beiden, und es ist mir der Eindruck geblieben, wie Faust sein schönes eigenartiges Gesicht herumwandte, um mit Mephistopheles oder mit mir zu reden. Wir gingen durch die Straßen und die Menge verlief sich, ohne weiter auf uns zu achten.
leicht zu vergeſſen iſt. Beide waren jünger, als man ſie gewöhnlich zu denken pflegt, und zwar mochte Me¬ phiſtopheles ein und zwanzig Jahre ſeyn, wenn Fauſt ſieben und zwanzig haben konnte. Erſterer erſchien durchaus vornehm, heiter und frei; er ſchritt ſo leicht einher, wie man ſich etwa den Merkur denkt. Sein Geſicht war ſchön, ohne bösartig, und man hätte nicht erkennen mögen, daß es der Teufel ſey, wenn nicht von ſeiner jugendlichen Stirn zwei zierliche Hörner ſich erhoben und ſeitwärts gebogen hätten, ſo wie wohl ein ſchöner Haarwuchs ſich erhebt und zu beiden Sei¬ ten umbiegt. Als Fauſt im Gehen ſein Geſicht redend mir zuwandte, war ich erſtaunt über den eigenartigen Ausdruck. Die edelſte Sittlichkeit und Herzensgüte ſprach aus jedem Zuge, als das Vorwaltende, Urſprüng¬ liche ſeiner Natur. Man ſah ihm an, als wären alle menſchlichen Freuden, Leiden und Gedanken, trotz ſeiner Jugend, bereits durch ſeine Seele gegangen, — ſo durch¬ gearbeitet war ſein Geſicht! Er war ein wenig blaß und ſo anziehend, daß man ſich nicht ſatt an ihm ſehen konnte; ich ſuchte mir ſeine Züge einzuprägen, um ſie zu zeichnen. Fauſt ging rechts, Mephiſtopheles zwiſchen uns Beiden, und es iſt mir der Eindruck geblieben, wie Fauſt ſein ſchönes eigenartiges Geſicht herumwandte, um mit Mephiſtopheles oder mit mir zu reden. Wir gingen durch die Straßen und die Menge verlief ſich, ohne weiter auf uns zu achten.
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leicht zu vergeſſen iſt. Beide waren jünger, als man
ſie gewöhnlich zu denken pflegt, und zwar mochte Me¬
phiſtopheles ein und zwanzig Jahre ſeyn, wenn Fauſt
ſieben und zwanzig haben konnte. Erſterer erſchien
durchaus vornehm, heiter und frei; er ſchritt ſo leicht
einher, wie man ſich etwa den Merkur denkt. Sein
Geſicht war ſchön, ohne bösartig, und man hätte nicht
erkennen mögen, daß es der Teufel ſey, wenn nicht
von ſeiner jugendlichen Stirn zwei zierliche Hörner ſich
erhoben und ſeitwärts gebogen hätten, ſo wie wohl
ein ſchöner Haarwuchs ſich erhebt und zu beiden Sei¬
ten umbiegt. Als Fauſt im Gehen ſein Geſicht redend
mir zuwandte, war ich erſtaunt über den eigenartigen
Ausdruck. Die edelſte Sittlichkeit und Herzensgüte
ſprach aus jedem Zuge, als das Vorwaltende, Urſprüng¬
liche ſeiner Natur. Man ſah ihm an, als wären alle
menſchlichen Freuden, Leiden und Gedanken, trotz ſeiner
Jugend, bereits durch ſeine Seele gegangen, — ſo durch¬
gearbeitet war ſein Geſicht! Er war ein wenig blaß
und ſo anziehend, daß man ſich nicht ſatt an ihm ſehen
konnte; ich ſuchte mir ſeine Züge einzuprägen, um ſie
zu zeichnen. Fauſt ging rechts, Mephiſtopheles zwiſchen
uns Beiden, und es iſt mir der Eindruck geblieben,
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um mit Mephiſtopheles oder mit mir zu reden. Wir
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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