Baiern, den er heute erhalten hatte und der zu seiner heiteren Stimmung wahrscheinlich nicht wenig beige¬ tragen. "Lesen Sie, sagte er, und gestehen Sie, daß das Wohlwollen, das der König mir fortwährend be¬ wahrt, und das lebhafte Interesse, das er an den Fortschritten der Literatur und höheren menschlichen Entwickelung nimmt, durchaus geeignet ist, mir Freude zu machen. Und daß ich diesen Brief gerade heute er¬ hielt, dafür danke ich dem Himmel, als für eine beson¬ dere Gunst."
Wir sprachen darauf über das Theater und drama¬ tische Poesie. "Gozzi, sagte Goethe, wollte behaupten, daß es nur sechs und dreißig tragische Situationen gebe. Schiller gab sich alle Mühe, noch mehrere zu finden; allein er fand nicht einmal so viele als Gozzi."
Dieß führte auf einen Artikel des Globe, und zwar auf eine kritische Beleuchtung des "Gustav Wasa" von Arnault. Die Art und Weise, wie der Recensent sich dabei benommen, machte Goethen viel Vergnügen und fand seinen vollkommenen Beifall. Der Beurthei¬ lende hatte sich nämlich damit begnügt, alle Remi¬ niscenzen des Autors namhaft zu machen, ohne ihn selber und seine poetischen Grundsätze weiter anzu¬ greifen. "Der Temps, fügte Goethe hinzu, hat sich in seiner Kritik nicht so weise benommen. Er maßt sich an, dem Dichter den Weg vorschreiben zu wollen, den er hätte gehen müssen. Dieß ist ein großer Fehler;
Baiern, den er heute erhalten hatte und der zu ſeiner heiteren Stimmung wahrſcheinlich nicht wenig beige¬ tragen. „Leſen Sie, ſagte er, und geſtehen Sie, daß das Wohlwollen, das der König mir fortwährend be¬ wahrt, und das lebhafte Intereſſe, das er an den Fortſchritten der Literatur und höheren menſchlichen Entwickelung nimmt, durchaus geeignet iſt, mir Freude zu machen. Und daß ich dieſen Brief gerade heute er¬ hielt, dafür danke ich dem Himmel, als für eine beſon¬ dere Gunſt.“
Wir ſprachen darauf über das Theater und drama¬ tiſche Poeſie. „Gozzi, ſagte Goethe, wollte behaupten, daß es nur ſechs und dreißig tragiſche Situationen gebe. Schiller gab ſich alle Mühe, noch mehrere zu finden; allein er fand nicht einmal ſo viele als Gozzi.“
Dieß führte auf einen Artikel des Globe, und zwar auf eine kritiſche Beleuchtung des „Guſtav Waſa“ von Arnault. Die Art und Weiſe, wie der Recenſent ſich dabei benommen, machte Goethen viel Vergnügen und fand ſeinen vollkommenen Beifall. Der Beurthei¬ lende hatte ſich nämlich damit begnügt, alle Remi¬ niscenzen des Autors namhaft zu machen, ohne ihn ſelber und ſeine poetiſchen Grundſätze weiter anzu¬ greifen. „Der Temps, fügte Goethe hinzu, hat ſich in ſeiner Kritik nicht ſo weiſe benommen. Er maßt ſich an, dem Dichter den Weg vorſchreiben zu wollen, den er hätte gehen müſſen. Dieß iſt ein großer Fehler;
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Baiern, den er heute erhalten hatte und der zu ſeiner
heiteren Stimmung wahrſcheinlich nicht wenig beige¬
tragen. „Leſen Sie, ſagte er, und geſtehen Sie, daß
das Wohlwollen, das der König mir fortwährend be¬
wahrt, und das lebhafte Intereſſe, das er an den
Fortſchritten der Literatur und höheren menſchlichen
Entwickelung nimmt, durchaus geeignet iſt, mir Freude
zu machen. Und daß ich dieſen Brief gerade heute er¬
hielt, dafür danke ich dem Himmel, als für eine beſon¬
dere Gunſt.“
Wir ſprachen darauf über das Theater und drama¬
tiſche Poeſie. „Gozzi, ſagte Goethe, wollte behaupten,
daß es nur ſechs und dreißig tragiſche Situationen
gebe. Schiller gab ſich alle Mühe, noch mehrere zu
finden; allein er fand nicht einmal ſo viele als Gozzi.“
Dieß führte auf einen Artikel des Globe, und
zwar auf eine kritiſche Beleuchtung des „Guſtav Waſa“
von Arnault. Die Art und Weiſe, wie der Recenſent
ſich dabei benommen, machte Goethen viel Vergnügen
und fand ſeinen vollkommenen Beifall. Der Beurthei¬
lende hatte ſich nämlich damit begnügt, alle Remi¬
niscenzen des Autors namhaft zu machen, ohne ihn
ſelber und ſeine poetiſchen Grundſätze weiter anzu¬
greifen. „Der Temps, fügte Goethe hinzu, hat ſich
in ſeiner Kritik nicht ſo weiſe benommen. Er maßt
ſich an, dem Dichter den Weg vorſchreiben zu wollen,
den er hätte gehen müſſen. Dieß iſt ein großer Fehler;
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/315>, abgerufen am 24.11.2024.
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