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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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nicht. Aber ich erinnere mich, daß Sie im ersten Jahre
nach meiner Ankunft schwer krank waren und in Ihrem
Phantasiren mit einemmale die schönsten Verse über den¬
selbigen Gegenstand recitirten. Es waren dieß ohne
Zweifel Erinnerungen aus jenem Gedicht Ihrer frühen
Jugend.

"Die Sache ist sehr wahrscheinlich, sagte Goethe.
Es ist mir ein Fall bekannt, wo ein alter Mann ge¬
ringen Standes, der in den letzten Zügen lag, ganz
unerwartet die schönsten griechischen Sentenzen recitirte.
Man war vollkommen überzeugt, daß dieser Mann kein
Wort griechisch verstehe, und schrie daher Wunder über
Wunder; ja die Klugen singen schon an, aus dieser
Leichtgläubigkeit der Thoren Vortheil zu ziehen, als
man unglücklicherweise entdeckte, daß jener Alte in
seiner frühen Jugend war genöthigt worden allerlei
griechische Sprüche auswendig zu lernen, und zwar in
Gegenwart eines Knaben von hoher Familie, den man
durch sein Beispiel anzuspornen trachtete. Er hatte je¬
nes wirklich classische Griechisch ganz maschinenmäßig
gelernt, ohne es zu verstehen, und hatte seit fünfzig
Jahren nicht wieder daran gedacht, bis endlich in sei¬
ner letzten Krankheit jener Wortkram mit einemmale
wieder anfing sich zu regen und lebendig zu werden."

Goethe kam darauf mit derselbigen Malice und
Ironie nochmals auf die enorme Besoldung der eng¬
lischen hohen Geistlichkeit zurück und erzählte sodann

nicht. Aber ich erinnere mich, daß Sie im erſten Jahre
nach meiner Ankunft ſchwer krank waren und in Ihrem
Phantaſiren mit einemmale die ſchönſten Verſe über den¬
ſelbigen Gegenſtand recitirten. Es waren dieß ohne
Zweifel Erinnerungen aus jenem Gedicht Ihrer frühen
Jugend.

„Die Sache iſt ſehr wahrſcheinlich, ſagte Goethe.
Es iſt mir ein Fall bekannt, wo ein alter Mann ge¬
ringen Standes, der in den letzten Zügen lag, ganz
unerwartet die ſchönſten griechiſchen Sentenzen recitirte.
Man war vollkommen überzeugt, daß dieſer Mann kein
Wort griechiſch verſtehe, und ſchrie daher Wunder über
Wunder; ja die Klugen ſingen ſchon an, aus dieſer
Leichtgläubigkeit der Thoren Vortheil zu ziehen, als
man unglücklicherweiſe entdeckte, daß jener Alte in
ſeiner frühen Jugend war genöthigt worden allerlei
griechiſche Sprüche auswendig zu lernen, und zwar in
Gegenwart eines Knaben von hoher Familie, den man
durch ſein Beiſpiel anzuſpornen trachtete. Er hatte je¬
nes wirklich claſſiſche Griechiſch ganz maſchinenmäßig
gelernt, ohne es zu verſtehen, und hatte ſeit fünfzig
Jahren nicht wieder daran gedacht, bis endlich in ſei¬
ner letzten Krankheit jener Wortkram mit einemmale
wieder anfing ſich zu regen und lebendig zu werden.“

Goethe kam darauf mit derſelbigen Malice und
Ironie nochmals auf die enorme Beſoldung der eng¬
liſchen hohen Geiſtlichkeit zurück und erzählte ſodann

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[326/0348] nicht. Aber ich erinnere mich, daß Sie im erſten Jahre nach meiner Ankunft ſchwer krank waren und in Ihrem Phantaſiren mit einemmale die ſchönſten Verſe über den¬ ſelbigen Gegenſtand recitirten. Es waren dieß ohne Zweifel Erinnerungen aus jenem Gedicht Ihrer frühen Jugend. „Die Sache iſt ſehr wahrſcheinlich, ſagte Goethe. Es iſt mir ein Fall bekannt, wo ein alter Mann ge¬ ringen Standes, der in den letzten Zügen lag, ganz unerwartet die ſchönſten griechiſchen Sentenzen recitirte. Man war vollkommen überzeugt, daß dieſer Mann kein Wort griechiſch verſtehe, und ſchrie daher Wunder über Wunder; ja die Klugen ſingen ſchon an, aus dieſer Leichtgläubigkeit der Thoren Vortheil zu ziehen, als man unglücklicherweiſe entdeckte, daß jener Alte in ſeiner frühen Jugend war genöthigt worden allerlei griechiſche Sprüche auswendig zu lernen, und zwar in Gegenwart eines Knaben von hoher Familie, den man durch ſein Beiſpiel anzuſpornen trachtete. Er hatte je¬ nes wirklich claſſiſche Griechiſch ganz maſchinenmäßig gelernt, ohne es zu verſtehen, und hatte ſeit fünfzig Jahren nicht wieder daran gedacht, bis endlich in ſei¬ ner letzten Krankheit jener Wortkram mit einemmale wieder anfing ſich zu regen und lebendig zu werden.“ Goethe kam darauf mit derſelbigen Malice und Ironie nochmals auf die enorme Beſoldung der eng¬ liſchen hohen Geiſtlichkeit zurück und erzählte ſodann

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/348>, abgerufen am 27.11.2024.