Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueberraschung einst in ein solches einführen wollte.
Ich roch aber den Braten noch zeitig genug und sagte
ihm, daß ich keineswegs ein Bedürfniß verspüre, auch
noch diejenigen Narren zu sehen, die man einsperre,
vielmehr schon an denen vollkommen genug habe, die
frei umhergehen. Ich bin sehr bereit, sagte ich, Eurer
Hoheit, wenn es seyn muß, in die Hölle zu folgen,
aber nur nicht in die Tollhäuser."

"O welch ein Spaß würde es für mich seyn, die
39 Artikel auf meine Weise zu tractiren und die ein¬
fältige Masse in Erstaunen zu setzen!"

Auch ohne Bischof zu seyn, sagte ich, könnten Sie
sich dieses Vergnügen machen.

"Nein, erwiederte Goethe, ich werde mich ruhig
verhalten; man muß sehr gut bezahlt seyn, um so zu
lügen. Ohne Aussicht auf die Bischofsmütze und meine
30,000 Pfund jährlich könnte ich mich nicht dazu ver¬
stehen. Uebrigens habe ich schon ein Pröbchen in die¬
sem Genre abgelegt. Ich habe als sechszehnjähriger
Knabe ein dithyrambisches Gedicht über die Höllenfahrt
Christi geschrieben, das sogar gedruckt, aber nicht be¬
kannt geworden, und das erst in diesen Tagen mir
wieder in die Hände kommt. Das Gedicht ist voll
orthodoxer Bornirtheit und wird mir als herrlicher Paß
in den Himmel dienen. Nicht wahr Riemer? Sie
kennen es."

Nein, Excellenz, erwiederte Riemer, ich kenne es

Ueberraſchung einſt in ein ſolches einführen wollte.
Ich roch aber den Braten noch zeitig genug und ſagte
ihm, daß ich keineswegs ein Bedürfniß verſpüre, auch
noch diejenigen Narren zu ſehen, die man einſperre,
vielmehr ſchon an denen vollkommen genug habe, die
frei umhergehen. Ich bin ſehr bereit, ſagte ich, Eurer
Hoheit, wenn es ſeyn muß, in die Hölle zu folgen,
aber nur nicht in die Tollhäuſer.“

„O welch ein Spaß würde es für mich ſeyn, die
39 Artikel auf meine Weiſe zu tractiren und die ein¬
fältige Maſſe in Erſtaunen zu ſetzen!“

Auch ohne Biſchof zu ſeyn, ſagte ich, könnten Sie
ſich dieſes Vergnügen machen.

„Nein, erwiederte Goethe, ich werde mich ruhig
verhalten; man muß ſehr gut bezahlt ſeyn, um ſo zu
lügen. Ohne Ausſicht auf die Biſchofsmütze und meine
30,000 Pfund jährlich könnte ich mich nicht dazu ver¬
ſtehen. Uebrigens habe ich ſchon ein Pröbchen in die¬
ſem Genre abgelegt. Ich habe als ſechszehnjähriger
Knabe ein dithyrambiſches Gedicht über die Höllenfahrt
Chriſti geſchrieben, das ſogar gedruckt, aber nicht be¬
kannt geworden, und das erſt in dieſen Tagen mir
wieder in die Hände kommt. Das Gedicht iſt voll
orthodoxer Bornirtheit und wird mir als herrlicher Paß
in den Himmel dienen. Nicht wahr Riemer? Sie
kennen es.“

Nein, Excellenz, erwiederte Riemer, ich kenne es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0347" n="325"/>
Ueberra&#x017F;chung ein&#x017F;t in ein &#x017F;olches einführen wollte.<lb/>
Ich roch aber den Braten noch zeitig genug und &#x017F;agte<lb/>
ihm, daß ich keineswegs ein Bedürfniß ver&#x017F;püre, auch<lb/>
noch diejenigen Narren zu &#x017F;ehen, die man ein&#x017F;perre,<lb/>
vielmehr &#x017F;chon an denen vollkommen genug habe, die<lb/>
frei umhergehen. Ich bin &#x017F;ehr bereit, &#x017F;agte ich, Eurer<lb/>
Hoheit, wenn es &#x017F;eyn muß, in die Hölle zu folgen,<lb/>
aber nur nicht in die Tollhäu&#x017F;er.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;O welch ein Spaß würde es für mich &#x017F;eyn, die<lb/><hi rendition="#aq">39</hi> Artikel auf meine Wei&#x017F;e zu tractiren und die ein¬<lb/>
fältige Ma&#x017F;&#x017F;e in Er&#x017F;taunen zu &#x017F;etzen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Auch ohne Bi&#x017F;chof zu &#x017F;eyn, &#x017F;agte ich, könnten Sie<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;es Vergnügen machen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nein, erwiederte Goethe, ich werde mich ruhig<lb/>
verhalten; man muß &#x017F;ehr gut bezahlt &#x017F;eyn, um &#x017F;o zu<lb/>
lügen. Ohne Aus&#x017F;icht auf die Bi&#x017F;chofsmütze und meine<lb/>
30,000 Pfund jährlich könnte ich mich nicht dazu ver¬<lb/>
&#x017F;tehen. Uebrigens habe ich &#x017F;chon ein Pröbchen in die¬<lb/>
&#x017F;em Genre abgelegt. Ich habe als &#x017F;echszehnjähriger<lb/>
Knabe ein dithyrambi&#x017F;ches Gedicht über die Höllenfahrt<lb/>
Chri&#x017F;ti ge&#x017F;chrieben, das &#x017F;ogar gedruckt, aber nicht be¬<lb/>
kannt geworden, und das er&#x017F;t in die&#x017F;en Tagen mir<lb/>
wieder in die Hände kommt. Das Gedicht i&#x017F;t voll<lb/>
orthodoxer Bornirtheit und wird mir als herrlicher Paß<lb/>
in den Himmel dienen. Nicht wahr Riemer? Sie<lb/>
kennen es.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nein, Excellenz, erwiederte Riemer, ich kenne es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0347] Ueberraſchung einſt in ein ſolches einführen wollte. Ich roch aber den Braten noch zeitig genug und ſagte ihm, daß ich keineswegs ein Bedürfniß verſpüre, auch noch diejenigen Narren zu ſehen, die man einſperre, vielmehr ſchon an denen vollkommen genug habe, die frei umhergehen. Ich bin ſehr bereit, ſagte ich, Eurer Hoheit, wenn es ſeyn muß, in die Hölle zu folgen, aber nur nicht in die Tollhäuſer.“ „O welch ein Spaß würde es für mich ſeyn, die 39 Artikel auf meine Weiſe zu tractiren und die ein¬ fältige Maſſe in Erſtaunen zu ſetzen!“ Auch ohne Biſchof zu ſeyn, ſagte ich, könnten Sie ſich dieſes Vergnügen machen. „Nein, erwiederte Goethe, ich werde mich ruhig verhalten; man muß ſehr gut bezahlt ſeyn, um ſo zu lügen. Ohne Ausſicht auf die Biſchofsmütze und meine 30,000 Pfund jährlich könnte ich mich nicht dazu ver¬ ſtehen. Uebrigens habe ich ſchon ein Pröbchen in die¬ ſem Genre abgelegt. Ich habe als ſechszehnjähriger Knabe ein dithyrambiſches Gedicht über die Höllenfahrt Chriſti geſchrieben, das ſogar gedruckt, aber nicht be¬ kannt geworden, und das erſt in dieſen Tagen mir wieder in die Hände kommt. Das Gedicht iſt voll orthodoxer Bornirtheit und wird mir als herrlicher Paß in den Himmel dienen. Nicht wahr Riemer? Sie kennen es.“ Nein, Excellenz, erwiederte Riemer, ich kenne es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/347
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/347>, abgerufen am 16.06.2024.