Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Vor Goethe's Fenster stand ein kleiner broncener
Moses, eine Nachbildung des berühmten Originals
von Michel Angelo. Die Arme erschienen mir im Ver¬
hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu stark,
welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬
sprach.

"Aber die beiden schweren Tafeln mit den zehn
Geboten! rief er lebhaft, -- glaubt Ihr denn, daß es
eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr
denn ferner, daß Moses, der eine Armee Juden zu
commandiren und zu bändigen hatte, sich mit ganz
ordinären Armen hätte begnügen können?"

Goethe lachte, indem er dieses sagte, so daß ich
nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er
sich mit der Vertheidigung seines Künstlers nur einen
Spaß machte.


Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬
tion gelangten heute nach Weimar und setzten Alles in
Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu
Goethe. "Nun? rief er mir entgegen, was denken
Sie von dieser großen Begebenheit? Der Vulkan ist
zum Ausbruch gekommen; Alles steht in Flammen, und
es ist nicht ferner eine Verhandlung bei geschlossenen
Thüren!"

22*

Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener
Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals
von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬
hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark,
welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬
ſprach.

„Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn
Geboten! rief er lebhaft, — glaubt Ihr denn, daß es
eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr
denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu
commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz
ordinären Armen hätte begnügen können?“

Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich
nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er
ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen
Spaß machte.


Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬
tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in
Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu
Goethe. „Nun? rief er mir entgegen, was denken
Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt
zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und
es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen
Thüren!“

22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0361" n="339"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 12. Mai 1830*.<lb/></dateline>
          <p>Vor Goethe's Fen&#x017F;ter &#x017F;tand ein kleiner broncener<lb/>
Mo&#x017F;es, eine Nachbildung des berühmten Originals<lb/>
von Michel Angelo. Die Arme er&#x017F;chienen mir im Ver¬<lb/>
hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu &#x017F;tark,<lb/>
welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬<lb/>
&#x017F;prach.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber die beiden &#x017F;chweren Tafeln mit den zehn<lb/>
Geboten! rief er lebhaft, &#x2014; glaubt Ihr denn, daß es<lb/>
eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr<lb/>
denn ferner, daß Mo&#x017F;es, der eine Armee Juden zu<lb/>
commandiren und zu bändigen hatte, &#x017F;ich mit ganz<lb/>
ordinären Armen hätte begnügen können?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Goethe lachte, indem er die&#x017F;es &#x017F;agte, &#x017F;o daß ich<lb/>
nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er<lb/>
&#x017F;ich mit der Vertheidigung &#x017F;eines Kün&#x017F;tlers nur einen<lb/>
Spaß machte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Montag, den 2. Augu&#x017F;t 1830*.<lb/></dateline>
          <p>Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬<lb/>
tion gelangten heute nach Weimar und &#x017F;etzten Alles in<lb/>
Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu<lb/>
Goethe. &#x201E;Nun? rief er mir entgegen, was denken<lb/>
Sie von die&#x017F;er großen Begebenheit? Der Vulkan i&#x017F;t<lb/>
zum Ausbruch gekommen; Alles &#x017F;teht in Flammen, und<lb/>
es i&#x017F;t nicht ferner eine Verhandlung bei ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Thüren!&#x201C;<lb/></p>
          <fw place="bottom" type="sig">22*<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0361] Mittwoch, den 12. Mai 1830*. Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬ hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark, welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬ ſprach. „Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn Geboten! rief er lebhaft, — glaubt Ihr denn, daß es eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz ordinären Armen hätte begnügen können?“ Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen Spaß machte. Montag, den 2. Auguſt 1830*. Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬ tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu Goethe. „Nun? rief er mir entgegen, was denken Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen Thüren!“ 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/361
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/361>, abgerufen am 28.11.2024.