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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Dagegen ist nichts zu sagen, erwiederte ich. Es
giebt aber nicht bloß ein Glück, was ich als einzelnes
Individuum, sondern auch ein solches, was ich als
Staatsbürger und Mitglied einer großen Gesammtheit
genieße. Wenn man nun die Erreichung des möglich¬
sten Glückes für ein ganzes Volk nicht zum Princip
macht, von welcher Basis soll da die Gesetzgebung
ausgehen!

"Wenn Sie da hinaus wollen, erwiederte Goethe,
so habe ich freilich gar nichts einzuwenden. In solchem
Falle könnten aber nur sehr wenige Auserwählten von
Ihrem Princip Gebrauch machen. Es wäre nur ein
Recept für Fürsten und Gesetzgeber; wiewohl es mir
auch da scheinen will, als ob die Gesetze mehr trachten
müßten, die Masse der Uebel zu vermindern, als sich
anmaßen zu wollen, die Masse des Glückes herbeizu¬
führen."

Beides, entgegnete ich, würde wohl ziemlich auf
Eins hinauskommen. Schlechte Wege erscheinen mir
z. B. als ein großes Uebel. Wenn aber der Fürst in
seinem Staate, bis auf die letzte Dorfgemeinde, gute
Wege einführt, so ist nicht bloß ein großes Uebel ge¬
hoben, sondern zugleich für sein Volk ein großes Glück
erreicht. Ferner ist eine langsame Justiz ein großes
Unglück. Wenn aber der Fürst durch Anordnung eines
öffentlichen mündlichen Verfahrens seinem Volke eine

Dagegen iſt nichts zu ſagen, erwiederte ich. Es
giebt aber nicht bloß ein Glück, was ich als einzelnes
Individuum, ſondern auch ein ſolches, was ich als
Staatsbürger und Mitglied einer großen Geſammtheit
genieße. Wenn man nun die Erreichung des möglich¬
ſten Glückes für ein ganzes Volk nicht zum Princip
macht, von welcher Baſis ſoll da die Geſetzgebung
ausgehen!

„Wenn Sie da hinaus wollen, erwiederte Goethe,
ſo habe ich freilich gar nichts einzuwenden. In ſolchem
Falle könnten aber nur ſehr wenige Auserwählten von
Ihrem Princip Gebrauch machen. Es wäre nur ein
Recept für Fürſten und Geſetzgeber; wiewohl es mir
auch da ſcheinen will, als ob die Geſetze mehr trachten
müßten, die Maſſe der Uebel zu vermindern, als ſich
anmaßen zu wollen, die Maſſe des Glückes herbeizu¬
führen.“

Beides, entgegnete ich, würde wohl ziemlich auf
Eins hinauskommen. Schlechte Wege erſcheinen mir
z. B. als ein großes Uebel. Wenn aber der Fürſt in
ſeinem Staate, bis auf die letzte Dorfgemeinde, gute
Wege einführt, ſo iſt nicht bloß ein großes Uebel ge¬
hoben, ſondern zugleich für ſein Volk ein großes Glück
erreicht. Ferner iſt eine langſame Juſtiz ein großes
Unglück. Wenn aber der Fürſt durch Anordnung eines
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[345/0367] Dagegen iſt nichts zu ſagen, erwiederte ich. Es giebt aber nicht bloß ein Glück, was ich als einzelnes Individuum, ſondern auch ein ſolches, was ich als Staatsbürger und Mitglied einer großen Geſammtheit genieße. Wenn man nun die Erreichung des möglich¬ ſten Glückes für ein ganzes Volk nicht zum Princip macht, von welcher Baſis ſoll da die Geſetzgebung ausgehen! „Wenn Sie da hinaus wollen, erwiederte Goethe, ſo habe ich freilich gar nichts einzuwenden. In ſolchem Falle könnten aber nur ſehr wenige Auserwählten von Ihrem Princip Gebrauch machen. Es wäre nur ein Recept für Fürſten und Geſetzgeber; wiewohl es mir auch da ſcheinen will, als ob die Geſetze mehr trachten müßten, die Maſſe der Uebel zu vermindern, als ſich anmaßen zu wollen, die Maſſe des Glückes herbeizu¬ führen.“ Beides, entgegnete ich, würde wohl ziemlich auf Eins hinauskommen. Schlechte Wege erſcheinen mir z. B. als ein großes Uebel. Wenn aber der Fürſt in ſeinem Staate, bis auf die letzte Dorfgemeinde, gute Wege einführt, ſo iſt nicht bloß ein großes Uebel ge¬ hoben, ſondern zugleich für ſein Volk ein großes Glück erreicht. Ferner iſt eine langſame Juſtiz ein großes Unglück. Wenn aber der Fürſt durch Anordnung eines öffentlichen mündlichen Verfahrens ſeinem Volke eine

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/367>, abgerufen am 29.11.2024.