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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Ganzen arbeiten solle, als unerläßliche Bedingung seines
eigenen Glückes.

"Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müsse bei sich
selber anfangen und zunächst sein eigenes Glück machen,
woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar
entstehen wird. Uebrigens erscheint jene Lehre mir
durchaus unpraktisch und unausführbar. Sie widerspricht
aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge
seit Jahrtausenden. Wenn Jeder nur als Einzelner
seine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreise seines
nächsten Berufes brav und tüchtig ist, so wird es um
das Wohl des Ganzen gut stehen. Ich habe in mei¬
nem Beruf als Schriftsteller nie gefragt: was will die
große Masse und wie nütze ich dem Ganzen? sondern
ich habe immer nur dahin getrachtet, mich selbst einsich¬
tiger und besser zu machen, den Gehalt meiner eigenen
Persönlichkeit zu steigern, und dann immer nur aus¬
zusprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte.
Dieses hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in
einem großen Kreise gewirkt und genützt; aber dies
war nicht Zweck, sondern ganz nothwendige Folge,
wie sie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte statt¬
findet. Hätte ich als Schriftsteller die Wünsche des
großen Haufens mir zum Ziel machen und diese zu
befriedigen trachten wollen, so hätte ich ihnen Histör¬
chen erzählen und sie zum Besten haben müssen, wie
der selige Kotzebue gethan."

Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines
eigenen Glückes.

„Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich
ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen,
woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar
entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir
durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht
aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge
ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner
ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines
nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um
das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬
nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die
große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern
ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬
tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen
Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬
zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte.
Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in
einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies
war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige Folge,
wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬
findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des
großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu
befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬
chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie
der ſelige Kotzebue gethan.“

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[344/0366] Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines eigenen Glückes. „Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬ nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬ tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬ zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte. Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige Folge, wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬ findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬ chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie der ſelige Kotzebue gethan.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/366>, abgerufen am 29.11.2024.