Ganzen arbeiten solle, als unerläßliche Bedingung seines eigenen Glückes.
"Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müsse bei sich selber anfangen und zunächst sein eigenes Glück machen, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entstehen wird. Uebrigens erscheint jene Lehre mir durchaus unpraktisch und unausführbar. Sie widerspricht aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge seit Jahrtausenden. Wenn Jeder nur als Einzelner seine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreise seines nächsten Berufes brav und tüchtig ist, so wird es um das Wohl des Ganzen gut stehen. Ich habe in mei¬ nem Beruf als Schriftsteller nie gefragt: was will die große Masse und wie nütze ich dem Ganzen? sondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich selbst einsich¬ tiger und besser zu machen, den Gehalt meiner eigenen Persönlichkeit zu steigern, und dann immer nur aus¬ zusprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte. Dieses hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in einem großen Kreise gewirkt und genützt; aber dies war nicht Zweck, sondern ganz nothwendige Folge, wie sie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte statt¬ findet. Hätte ich als Schriftsteller die Wünsche des großen Haufens mir zum Ziel machen und diese zu befriedigen trachten wollen, so hätte ich ihnen Histör¬ chen erzählen und sie zum Besten haben müssen, wie der selige Kotzebue gethan."
Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines eigenen Glückes.
„Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬ nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬ tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬ zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte. Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige Folge, wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬ findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬ chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie der ſelige Kotzebue gethan.“
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0366"n="344"/>
Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines<lb/>
eigenen Glückes.</p><lb/><p>„Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich<lb/>ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen,<lb/>
woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar<lb/>
entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir<lb/>
durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht<lb/>
aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge<lb/>ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner<lb/>ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines<lb/>
nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um<lb/>
das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬<lb/>
nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die<lb/>
große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern<lb/>
ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬<lb/>
tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen<lb/>
Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬<lb/>
zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte.<lb/>
Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in<lb/>
einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies<lb/>
war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige <hirendition="#g">Folge</hi>,<lb/>
wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬<lb/>
findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des<lb/>
großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu<lb/>
befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬<lb/>
chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie<lb/>
der ſelige Kotzebue gethan.“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[344/0366]
Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines
eigenen Glückes.
„Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich
ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen,
woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar
entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir
durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht
aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge
ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner
ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines
nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um
das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬
nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die
große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern
ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬
tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen
Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬
zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte.
Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in
einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies
war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige Folge,
wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬
findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des
großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu
befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬
chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie
der ſelige Kotzebue gethan.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/366>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.