Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.Gelehrten sich um die Priorität streiten. "Ich habe durch In den Wissenschaften, bemerkte ich, scheint auf eine "Die Fragen der Wissenschaft, versetzte Goethe, sind "Bei der Wissenschaft aber ist die Behandlung null, Gelehrten ſich um die Priorität ſtreiten. „Ich habe durch In den Wiſſenſchaften, bemerkte ich, ſcheint auf eine „Die Fragen der Wiſſenſchaft, verſetzte Goethe, ſind „Bei der Wiſſenſchaft aber iſt die Behandlung null, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0048" n="26"/> Gelehrten ſich um die Priorität ſtreiten. „Ich habe durch<lb/> nichts die Menſchen beſſer kennen gelernt, ſagte Goethe,<lb/> als durch meine wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen. Ich<lb/> habe es mich viel koſten laſſen und es iſt mit manchen<lb/> Leiden verknüpft geweſen; aber ich freue mich dennoch<lb/> die Erfahrung gemacht zu haben.“</p><lb/> <p>In den Wiſſenſchaften, bemerkte ich, ſcheint auf eine<lb/> beſondere Weiſe der Egoismus der Menſchen angeregt<lb/> zu werden; und wenn dieſer einmal in Bewegung geſetzt<lb/> iſt, ſo pflegen ſehr bald alle Schwächen des Charakters<lb/> zum Vorſchein zu kommen.</p><lb/> <p>„Die Fragen der Wiſſenſchaft, verſetzte Goethe, ſind<lb/> ſehr häufig Fragen der Exiſtenz. Eine einzige Entdeckung<lb/> kann einen Mann berühmt machen und ſein bürgerliches<lb/> Glück begründen. Deßhalb herrſcht auch in den Wiſſen¬<lb/> ſchaften dieſe große Strenge und dieſes Feſthalten und<lb/> dieſe Eiferſucht auf das Aper<hi rendition="#aq">ç</hi>ü eines Andern. Im<lb/> Reich der Aeſthetik dagegen iſt Alles weit läßlicher; die<lb/> Gedanken ſind mehr oder weniger ein angeborenes<lb/> Eigenthum aller Menſchen, wobei Alles auf die Behand¬<lb/> lung und Ausführung ankommt und billigerweiſe wenig<lb/> Neid ſtattfindet. Ein einziger Gedanke kann das<lb/> Fundament zu hundert Epigrammen hergeben und es<lb/> fragt ſich bloß, welcher Poet denn nun dieſen Gedanken<lb/> auf die wirkſamſte und ſchönſte Weiſe zu verſinnlichen<lb/> gewußt habe.“</p><lb/> <p>„Bei der Wiſſenſchaft aber iſt die Behandlung null,<lb/></p> <p> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0048]
Gelehrten ſich um die Priorität ſtreiten. „Ich habe durch
nichts die Menſchen beſſer kennen gelernt, ſagte Goethe,
als durch meine wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen. Ich
habe es mich viel koſten laſſen und es iſt mit manchen
Leiden verknüpft geweſen; aber ich freue mich dennoch
die Erfahrung gemacht zu haben.“
In den Wiſſenſchaften, bemerkte ich, ſcheint auf eine
beſondere Weiſe der Egoismus der Menſchen angeregt
zu werden; und wenn dieſer einmal in Bewegung geſetzt
iſt, ſo pflegen ſehr bald alle Schwächen des Charakters
zum Vorſchein zu kommen.
„Die Fragen der Wiſſenſchaft, verſetzte Goethe, ſind
ſehr häufig Fragen der Exiſtenz. Eine einzige Entdeckung
kann einen Mann berühmt machen und ſein bürgerliches
Glück begründen. Deßhalb herrſcht auch in den Wiſſen¬
ſchaften dieſe große Strenge und dieſes Feſthalten und
dieſe Eiferſucht auf das Aperçü eines Andern. Im
Reich der Aeſthetik dagegen iſt Alles weit läßlicher; die
Gedanken ſind mehr oder weniger ein angeborenes
Eigenthum aller Menſchen, wobei Alles auf die Behand¬
lung und Ausführung ankommt und billigerweiſe wenig
Neid ſtattfindet. Ein einziger Gedanke kann das
Fundament zu hundert Epigrammen hergeben und es
fragt ſich bloß, welcher Poet denn nun dieſen Gedanken
auf die wirkſamſte und ſchönſte Weiſe zu verſinnlichen
gewußt habe.“
„Bei der Wiſſenſchaft aber iſt die Behandlung null,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |