beschränkenden Formen einer veralteten Welt finden und schicken lernen soll. Gehindertes Glück, gehemmte Thä¬ tigkeit, unbefriedigte Wünsche, sind nicht Gebrechen einer besonderen Zeit, sondern jedes einzelnen Menschen, und es müßte schlimm seyn, wenn nicht Jeder einmal in seinem Leben eine Epoche haben sollte, wo ihm der Werther käme, als wäre er bloß für ihn geschrieben."
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Heute nach Tische ging Goethe mit mir das Porte¬ feuille von Raphael durch. Er beschäftigt sich mit Raphael sehr oft, um sich immerfort im Verkehr mit dem Besten zu erhalten, und sich immerfort zu üben, die Gedanken eines hohen Menschen nachzudenken. Dabei macht es ihm Freude, mich in ähnliche Dinge einzuführen.
Hernach sprachen wir über den Divan; besonders über das Buch des Unmuths, worin Manches aus¬ geschüttet, was er gegen seine Feinde auf dem Herzen hatte.
"Ich habe mich übrigens sehr mäßig gehalten, fügte er hinzu; -- wenn ich Alles hätte aussprechen wollen, was mich wurmte und mir zu schaffen machte, so hätten die wenigen Seiten wohl zu einem ganzen Bande an¬ wachsen können."
"Man war im Grunde nie mit mir zufrieden und wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte, mich zu machen. Auch war man selten mit dem zufrie¬
beſchränkenden Formen einer veralteten Welt finden und ſchicken lernen ſoll. Gehindertes Glück, gehemmte Thä¬ tigkeit, unbefriedigte Wünſche, ſind nicht Gebrechen einer beſonderen Zeit, ſondern jedes einzelnen Menſchen, und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn nicht Jeder einmal in ſeinem Leben eine Epoche haben ſollte, wo ihm der Werther käme, als wäre er bloß für ihn geſchrieben.“
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Heute nach Tiſche ging Goethe mit mir das Porte¬ feuille von Raphael durch. Er beſchäftigt ſich mit Raphael ſehr oft, um ſich immerfort im Verkehr mit dem Beſten zu erhalten, und ſich immerfort zu üben, die Gedanken eines hohen Menſchen nachzudenken. Dabei macht es ihm Freude, mich in ähnliche Dinge einzuführen.
Hernach ſprachen wir über den Divan; beſonders über das Buch des Unmuths, worin Manches aus¬ geſchüttet, was er gegen ſeine Feinde auf dem Herzen hatte.
„Ich habe mich übrigens ſehr mäßig gehalten, fügte er hinzu; — wenn ich Alles hätte ausſprechen wollen, was mich wurmte und mir zu ſchaffen machte, ſo hätten die wenigen Seiten wohl zu einem ganzen Bande an¬ wachſen können.“
„Man war im Grunde nie mit mir zufrieden und wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte, mich zu machen. Auch war man ſelten mit dem zufrie¬
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beſchränkenden Formen einer veralteten Welt finden und
ſchicken lernen ſoll. Gehindertes Glück, gehemmte Thä¬
tigkeit, unbefriedigte Wünſche, ſind nicht Gebrechen
einer beſonderen Zeit, ſondern jedes einzelnen Menſchen,
und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn nicht Jeder einmal
in ſeinem Leben eine Epoche haben ſollte, wo ihm der
Werther käme, als wäre er bloß für ihn geſchrieben.“
Sonntag, den 4. Januar 1824.
Heute nach Tiſche ging Goethe mit mir das Porte¬
feuille von Raphael durch. Er beſchäftigt ſich mit
Raphael ſehr oft, um ſich immerfort im Verkehr mit
dem Beſten zu erhalten, und ſich immerfort zu üben,
die Gedanken eines hohen Menſchen nachzudenken. Dabei
macht es ihm Freude, mich in ähnliche Dinge einzuführen.
Hernach ſprachen wir über den Divan; beſonders
über das Buch des Unmuths, worin Manches aus¬
geſchüttet, was er gegen ſeine Feinde auf dem Herzen
hatte.
„Ich habe mich übrigens ſehr mäßig gehalten, fügte
er hinzu; — wenn ich Alles hätte ausſprechen wollen,
was mich wurmte und mir zu ſchaffen machte, ſo hätten
die wenigen Seiten wohl zu einem ganzen Bande an¬
wachſen können.“
„Man war im Grunde nie mit mir zufrieden und
wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte,
mich zu machen. Auch war man ſelten mit dem zufrie¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/62>, abgerufen am 27.11.2024.
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