Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬
lichen Gedicht seines jüngsten Gerichts hat er das
Aeußerste gethan, was er zu thun fähig war."

Das Gespräch lenkte sich sodann auf den italie¬
nischen Dichter Torquato Tasso, und wie sich dieser
zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große
Ueberlegenheit des Engländers an Geist, Welt und
productiver Kraft nicht verhehlen konnte. "Man darf,
fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬
gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten.
Byron ist der brennende Dornstrauch, der die heilige
Ceder des Libanon in Asche legt. Das große Epos
des Italieners hat seinen Ruhm durch Jahrhunderte
behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don
Juan könnte man das ganze Befreite Jerusalem
vergiften."


Ich nahm heute Abschied von Goethe, um meine
Lieben in Hannover und sodann den Rhein zu besuchen,
wie es längst meine Absicht gewesen. Goethe war sehr
herzlich und schloß mich in seine Arme. "Wenn Sie
in Hannover bei Rehberg's, sagte er, vielleicht meine
alte Jugendfreundin, Charlotte Kestner, sehen,
so sagen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde
ich Sie meinen Freunden Willemers, dem Grafen
Reinhardt- und Schlosser's empfehlen. Auch ins

Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬
lichen Gedicht ſeines jüngſten Gerichts hat er das
Aeußerſte gethan, was er zu thun fähig war.“

Das Geſpräch lenkte ſich ſodann auf den italie¬
niſchen Dichter Torquato Taſſo, und wie ſich dieſer
zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große
Ueberlegenheit des Engländers an Geiſt, Welt und
productiver Kraft nicht verhehlen konnte. „Man darf,
fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬
gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten.
Byron iſt der brennende Dornſtrauch, der die heilige
Ceder des Libanon in Aſche legt. Das große Epos
des Italieners hat ſeinen Ruhm durch Jahrhunderte
behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don
Juan könnte man das ganze Befreite Jeruſalem
vergiften.“


Ich nahm heute Abſchied von Goethe, um meine
Lieben in Hannover und ſodann den Rhein zu beſuchen,
wie es längſt meine Abſicht geweſen. Goethe war ſehr
herzlich und ſchloß mich in ſeine Arme. „Wenn Sie
in Hannover bei Rehberg's, ſagte er, vielleicht meine
alte Jugendfreundin, Charlotte Keſtner, ſehen,
ſo ſagen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde
ich Sie meinen Freunden Willemers, dem Grafen
Reinhardt- und Schloſſer's empfehlen. Auch ins

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0077" n="55"/>
Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬<lb/>
lichen Gedicht &#x017F;eines jüng&#x017F;ten Gerichts hat er das<lb/>
Aeußer&#x017F;te gethan, was er zu thun fähig war.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Ge&#x017F;präch lenkte &#x017F;ich &#x017F;odann auf den italie¬<lb/>
ni&#x017F;chen Dichter Torquato Ta&#x017F;&#x017F;o, und wie &#x017F;ich die&#x017F;er<lb/>
zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große<lb/>
Ueberlegenheit des Engländers an Gei&#x017F;t, Welt und<lb/>
productiver Kraft nicht verhehlen konnte. &#x201E;Man darf,<lb/>
fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬<lb/>
gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten.<lb/>
Byron i&#x017F;t der brennende Dorn&#x017F;trauch, der die heilige<lb/>
Ceder des Libanon in A&#x017F;che legt. Das große Epos<lb/>
des Italieners hat &#x017F;einen Ruhm durch Jahrhunderte<lb/>
behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don<lb/>
Juan könnte man das ganze Befreite Jeru&#x017F;alem<lb/>
vergiften.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 26. Mai 1824.<lb/></dateline>
          <p>Ich nahm heute Ab&#x017F;chied von Goethe, um meine<lb/>
Lieben in Hannover und &#x017F;odann den <hi rendition="#g">Rhein</hi> zu be&#x017F;uchen,<lb/>
wie es läng&#x017F;t meine Ab&#x017F;icht gewe&#x017F;en. Goethe war &#x017F;ehr<lb/>
herzlich und &#x017F;chloß mich in &#x017F;eine Arme. &#x201E;Wenn Sie<lb/>
in Hannover bei <hi rendition="#g">Rehberg's</hi>, &#x017F;agte er, vielleicht meine<lb/>
alte Jugendfreundin, <hi rendition="#g">Charlotte Ke&#x017F;tner</hi>, &#x017F;ehen,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde<lb/>
ich Sie meinen Freunden <hi rendition="#g">Willemers</hi>, dem Grafen<lb/><hi rendition="#g">Reinhardt</hi>- und <hi rendition="#g">Schlo&#x017F;&#x017F;er's</hi> empfehlen. Auch ins<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0077] Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬ lichen Gedicht ſeines jüngſten Gerichts hat er das Aeußerſte gethan, was er zu thun fähig war.“ Das Geſpräch lenkte ſich ſodann auf den italie¬ niſchen Dichter Torquato Taſſo, und wie ſich dieſer zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große Ueberlegenheit des Engländers an Geiſt, Welt und productiver Kraft nicht verhehlen konnte. „Man darf, fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬ gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten. Byron iſt der brennende Dornſtrauch, der die heilige Ceder des Libanon in Aſche legt. Das große Epos des Italieners hat ſeinen Ruhm durch Jahrhunderte behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don Juan könnte man das ganze Befreite Jeruſalem vergiften.“ Mittwoch, den 26. Mai 1824. Ich nahm heute Abſchied von Goethe, um meine Lieben in Hannover und ſodann den Rhein zu beſuchen, wie es längſt meine Abſicht geweſen. Goethe war ſehr herzlich und ſchloß mich in ſeine Arme. „Wenn Sie in Hannover bei Rehberg's, ſagte er, vielleicht meine alte Jugendfreundin, Charlotte Keſtner, ſehen, ſo ſagen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde ich Sie meinen Freunden Willemers, dem Grafen Reinhardt- und Schloſſer's empfehlen. Auch ins

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/77
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/77>, abgerufen am 27.11.2024.