Aeltere Personen, bemerkte ich, die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das Weimar'sche Theater damals gestanden.
"Ich will nicht läugnen, erwiederte Goethe, es war etwas. -- Die Hauptsache aber war dieses, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich schalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich sah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich sah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Posse, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas seyn, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber gesund seyn und einen gewissen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale, sowie alles Schreckliche, Gräuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein- für allemal ausgeschlossen; ich hätte gefürchtet, Schauspieler und Publicum damit zu verderben."
"Durch die guten Stücke aber hob ich die Schau¬ spieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte noth¬ wendig aus einem Menschen, den die Natur nicht im Stich gelassen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauspielern in beständiger persönlicher Berührung. Ich leitete die Leseproben und machte Jedem seine Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegen¬ wärtig und besprach mit ihnen, wie etwas besser zu
III. 5
Aeltere Perſonen, bemerkte ich, die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das Weimar'ſche Theater damals geſtanden.
„Ich will nicht läugnen, erwiederte Goethe, es war etwas. — Die Hauptſache aber war dieſes, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich ſchalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich ſah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich ſah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Poſſe, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas ſeyn, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber geſund ſeyn und einen gewiſſen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale, ſowie alles Schreckliche, Gräuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein- für allemal ausgeſchloſſen; ich hätte gefürchtet, Schauſpieler und Publicum damit zu verderben.“
„Durch die guten Stücke aber hob ich die Schau¬ ſpieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte noth¬ wendig aus einem Menſchen, den die Natur nicht im Stich gelaſſen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauſpielern in beſtändiger perſönlicher Berührung. Ich leitete die Leſeproben und machte Jedem ſeine Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegen¬ wärtig und beſprach mit ihnen, wie etwas beſſer zu
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Aeltere Perſonen, bemerkte ich, die jene Zeit erlebt
haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher
Höhe das Weimar'ſche Theater damals geſtanden.
„Ich will nicht läugnen, erwiederte Goethe, es
war etwas. — Die Hauptſache aber war dieſes, daß
der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und
ich ſchalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich
ſah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende
Garderobe, aber ich ſah auf gute Stücke. Von der
Tragödie bis zur Poſſe, mir war jedes Genre recht;
aber ein Stück mußte etwas ſeyn, um Gnade zu finden.
Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf
alle Fälle aber geſund ſeyn und einen gewiſſen Kern
haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und
Sentimentale, ſowie alles Schreckliche, Gräuelhafte
und die gute Sitte Verletzende war ein- für allemal
ausgeſchloſſen; ich hätte gefürchtet, Schauſpieler und
Publicum damit zu verderben.“
„Durch die guten Stücke aber hob ich die Schau¬
ſpieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die
fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte noth¬
wendig aus einem Menſchen, den die Natur nicht im
Stich gelaſſen, etwas machen. Auch war ich mit den
Schauſpielern in beſtändiger perſönlicher Berührung.
Ich leitete die Leſeproben und machte Jedem ſeine
Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegen¬
wärtig und beſprach mit ihnen, wie etwas beſſer zu
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/87>, abgerufen am 23.11.2024.
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