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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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Ein norddeutscher Tourist erzählt uns mit vielem Humor, wie er einmal auf Grund eines törichten Mißverständnisses fern in Spanien verhaftet, vor den Alkalden geführt, und von dem würdigen Caballero zehn Stunden lang in Gewahrsam behalten wurde, bis dann der Irrtum sich aufklärte. Das Gefängniß, in welchem der Herr Alkalde ihn aufhob, war ein getünchtes Stübchen des Obergeschosses, das einen rohgezimmerten Tisch, einen Stuhl und einen Spucknapf enthielt. Die Aussicht ging auf den engen Hof, wo auf der Spartgras-Leine die Hemden der Frau Alkaldin und zwei Unterbeinkleider ihres Gemahls trockneten. Kein grünes Blatt, kein lebendes Wesen, soweit der Blick reichte. Das Gepäck hatte man dem Verhafteten abgenommen; nicht einmal sein Notizbuch steckte mehr in der Brusttasche. Kurz, der Aufenthalt in dem einsamen Spucknapf-Stübchen war von entsetzlicher Langweiligkeit; jede Sekunde schien dreifach durchtränkt von jener weisgetünchten lautlosen süd-andalusischen Oedigkeit, die das Herz zur Verzweiflung bringt und schrecklicher auf die Nerven drückt als die Finsterniß eines mittelalterlich-modrigen Burgverließes.

In dieser furchtbaren Monotonie fand der Vereinsamte einen himmlischen Trost, wenn er sich an die Mittwoch- und Sonnabend-Nachmittage seiner Schulzeit erinnerte.

"Ich stellte mir vor" -- so erzählt uns der Vielgeprüfte -- "daß ich an diesem Nachmittage von fünf bis sechs regulariter eine Klavierstunde hatte. Ich war musikalisch-talentlos: aber der Lehrer, obschon er sich eines bedeutenden Ruhmes erfreute, war etwas schlimmeres: er war menschlich-talentlos. Der Mann gab mir nicht Unterricht -- nein, er dressirte mich. Die geisttötende Aeußerlichkeit seiner Methode richtete nur meine Finger ab, während das Herz und das Hirn leer

Ein norddeutscher Tourist erzählt uns mit vielem Humor, wie er einmal auf Grund eines törichten Mißverständnisses fern in Spanien verhaftet, vor den Alkalden geführt, und von dem würdigen Caballero zehn Stunden lang in Gewahrsam behalten wurde, bis dann der Irrtum sich aufklärte. Das Gefängniß, in welchem der Herr Alkalde ihn aufhob, war ein getünchtes Stübchen des Obergeschosses, das einen rohgezimmerten Tisch, einen Stuhl und einen Spucknapf enthielt. Die Aussicht ging auf den engen Hof, wo auf der Spartgras-Leine die Hemden der Frau Alkaldin und zwei Unterbeinkleider ihres Gemahls trockneten. Kein grünes Blatt, kein lebendes Wesen, soweit der Blick reichte. Das Gepäck hatte man dem Verhafteten abgenommen; nicht einmal sein Notizbuch steckte mehr in der Brusttasche. Kurz, der Aufenthalt in dem einsamen Spucknapf-Stübchen war von entsetzlicher Langweiligkeit; jede Sekunde schien dreifach durchtränkt von jener weisgetünchten lautlosen süd-andalusischen Oedigkeit, die das Herz zur Verzweiflung bringt und schrecklicher auf die Nerven drückt als die Finsterniß eines mittelalterlich-modrigen Burgverließes.

In dieser furchtbaren Monotonie fand der Vereinsamte einen himmlischen Trost, wenn er sich an die Mittwoch- und Sonnabend-Nachmittage seiner Schulzeit erinnerte.

„Ich stellte mir vor“ — so erzählt uns der Vielgeprüfte — „daß ich an diesem Nachmittage von fünf bis sechs regulariter eine Klavierstunde hatte. Ich war musikalisch-talentlos: aber der Lehrer, obschon er sich eines bedeutenden Ruhmes erfreute, war etwas schlimmeres: er war menschlich-talentlos. Der Mann gab mir nicht Unterricht — nein, er dressirte mich. Die geisttötende Aeußerlichkeit seiner Methode richtete nur meine Finger ab, während das Herz und das Hirn leer

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[52/0054] Ein norddeutscher Tourist erzählt uns mit vielem Humor, wie er einmal auf Grund eines törichten Mißverständnisses fern in Spanien verhaftet, vor den Alkalden geführt, und von dem würdigen Caballero zehn Stunden lang in Gewahrsam behalten wurde, bis dann der Irrtum sich aufklärte. Das Gefängniß, in welchem der Herr Alkalde ihn aufhob, war ein getünchtes Stübchen des Obergeschosses, das einen rohgezimmerten Tisch, einen Stuhl und einen Spucknapf enthielt. Die Aussicht ging auf den engen Hof, wo auf der Spartgras-Leine die Hemden der Frau Alkaldin und zwei Unterbeinkleider ihres Gemahls trockneten. Kein grünes Blatt, kein lebendes Wesen, soweit der Blick reichte. Das Gepäck hatte man dem Verhafteten abgenommen; nicht einmal sein Notizbuch steckte mehr in der Brusttasche. Kurz, der Aufenthalt in dem einsamen Spucknapf-Stübchen war von entsetzlicher Langweiligkeit; jede Sekunde schien dreifach durchtränkt von jener weisgetünchten lautlosen süd-andalusischen Oedigkeit, die das Herz zur Verzweiflung bringt und schrecklicher auf die Nerven drückt als die Finsterniß eines mittelalterlich-modrigen Burgverließes. In dieser furchtbaren Monotonie fand der Vereinsamte einen himmlischen Trost, wenn er sich an die Mittwoch- und Sonnabend-Nachmittage seiner Schulzeit erinnerte. „Ich stellte mir vor“ — so erzählt uns der Vielgeprüfte — „daß ich an diesem Nachmittage von fünf bis sechs regulariter eine Klavierstunde hatte. Ich war musikalisch-talentlos: aber der Lehrer, obschon er sich eines bedeutenden Ruhmes erfreute, war etwas schlimmeres: er war menschlich-talentlos. Der Mann gab mir nicht Unterricht — nein, er dressirte mich. Die geisttötende Aeußerlichkeit seiner Methode richtete nur meine Finger ab, während das Herz und das Hirn leer

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/54>, abgerufen am 19.05.2024.