Frau, welche nie den Plato gelesen hat, nicht eben so viel von der unverän- derlichen Weisheit verstehe, als der große Philosoph von Athen?...
Wir haben anderswo behauptet, daß der Tod ein unerbittlicher Portrait- maler sei, man muß aber noch bei- setzen, daß er ein Gesicht entweder sehr häßlich, oder geheimnisvoll und er- haben darstellen könne. Man betrachte das blasse Gesicht der guten Familien- mutter, wenn sie in ihr Leichengewand gehüllt und mit einem Kruzifixe in ihren weißen Händen zum letztenmale auf dem Lager liegt, auf welchem sie als Gattin und Mutter lag: man betrachte diese unter dem Strahle der letzten Hoffnung erstarrten Züge: sieht man nicht um ihre Lippen etwas Tief- ernstes, aber Rührendes, Liebliches schweben? In diesem ganzen Ge- sichte liegt ein symbolischer Ausdruck, ein menschliches Geheimnis, eine flüch- tige Vision der Ewigkeit!....
Frau, welche nie den Plato gelesen hat, nicht eben so viel von der unverän- derlichen Weisheit verstehe, als der große Philosoph von Athen?...
Wir haben anderswo behauptet, daß der Tod ein unerbittlicher Portrait- maler sei, man muß aber noch bei- setzen, daß er ein Gesicht entweder sehr häßlich, oder geheimnisvoll und er- haben darstellen könne. Man betrachte das blasse Gesicht der guten Familien- mutter, wenn sie in ihr Leichengewand gehüllt und mit einem Kruzifixe in ihren weißen Händen zum letztenmale auf dem Lager liegt, auf welchem sie als Gattin und Mutter lag: man betrachte diese unter dem Strahle der letzten Hoffnung erstarrten Züge: sieht man nicht um ihre Lippen etwas Tief- ernstes, aber Rührendes, Liebliches schweben? In diesem ganzen Ge- sichte liegt ein symbolischer Ausdruck, ein menschliches Geheimnis, eine flüch- tige Vision der Ewigkeit!....
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Frau, welche nie den Plato gelesen hat,
nicht eben so viel von der unverän-
derlichen Weisheit verstehe, als der
große Philosoph von Athen?...
Wir haben anderswo behauptet, daß
der Tod ein unerbittlicher Portrait-
maler sei, man muß aber noch bei-
setzen, daß er ein Gesicht entweder sehr
häßlich, oder geheimnisvoll und er-
haben darstellen könne. Man betrachte
das blasse Gesicht der guten Familien-
mutter, wenn sie in ihr Leichengewand
gehüllt und mit einem Kruzifixe in
ihren weißen Händen zum letztenmale
auf dem Lager liegt, auf welchem sie
als Gattin und Mutter lag: man
betrachte diese unter dem Strahle der
letzten Hoffnung erstarrten Züge: sieht
man nicht um ihre Lippen etwas Tief-
ernstes, aber Rührendes, Liebliches
schweben? In diesem ganzen Ge-
sichte liegt ein symbolischer Ausdruck,
ein menschliches Geheimnis, eine flüch-
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Egger, Augustin: Die christliche Mutter. Erbauungs- und Gebetbuch. - Einsiedeln u. a., [1914], S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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