sein Interesse unerlaubte Mittel gebraucht, ob seine Zunge aufrichtig redet oder lügt und heuchelt, ob er feig ist, oder Mut hat, ob er gegebenen Falls die Versuchungen des Fleisches und der Sinnlichkeit überwindet oder von ihnen überwunden wird, ob er mit starrem Eigensinn oder gewissenhafter Ueber- legung zu Werke geht, ob er unbarmherzig oder mit Mitleid gegen andere verfährt, ob er im Unglück fest und mutig dasteht oder zusammenbricht.
Je nachdem die herrschende Willensrich- tung des Mannes beschaffen ist, nennt man seinen Charakter einen guten oder schlechten. Der gute Charakter ist schön und edel, der schlechte ist immer häßlich. Gewissermaßen noch verächtlicher ist der Mann, wenn er cha- rakterlos ist, d. h. wenn er gar keine feste Willensrichtung hat, sondern in seinem Wol- len und Thun von der Laune, von augen- blicklichen Umständen, von den Eingebungen der Triebe und Neigungen abhängt. Zum guten Charakter gehört nicht bloß, daß die Richtung des Willens eine gute sei, - das letztere ist auch im braven Kinde der Fall, und doch redet man bei ihm noch nicht von Charakter, - sondern die gute Willensrichtung
sein Interesse unerlaubte Mittel gebraucht, ob seine Zunge aufrichtig redet oder lügt und heuchelt, ob er feig ist, oder Mut hat, ob er gegebenen Falls die Versuchungen des Fleisches und der Sinnlichkeit überwindet oder von ihnen überwunden wird, ob er mit starrem Eigensinn oder gewissenhafter Ueber- legung zu Werke geht, ob er unbarmherzig oder mit Mitleid gegen andere verfährt, ob er im Unglück fest und mutig dasteht oder zusammenbricht.
Je nachdem die herrschende Willensrich- tung des Mannes beschaffen ist, nennt man seinen Charakter einen guten oder schlechten. Der gute Charakter ist schön und edel, der schlechte ist immer häßlich. Gewissermaßen noch verächtlicher ist der Mann, wenn er cha- rakterlos ist, d. h. wenn er gar keine feste Willensrichtung hat, sondern in seinem Wol- len und Thun von der Laune, von augen- blicklichen Umständen, von den Eingebungen der Triebe und Neigungen abhängt. Zum guten Charakter gehört nicht bloß, daß die Richtung des Willens eine gute sei, – das letztere ist auch im braven Kinde der Fall, und doch redet man bei ihm noch nicht von Charakter, – sondern die gute Willensrichtung
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sein Interesse unerlaubte Mittel gebraucht,
ob seine Zunge aufrichtig redet oder lügt
und heuchelt, ob er feig ist, oder Mut hat,
ob er gegebenen Falls die Versuchungen des
Fleisches und der Sinnlichkeit überwindet
oder von ihnen überwunden wird, ob er mit
starrem Eigensinn oder gewissenhafter Ueber-
legung zu Werke geht, ob er unbarmherzig
oder mit Mitleid gegen andere verfährt, ob
er im Unglück fest und mutig dasteht oder
zusammenbricht.
Je nachdem die herrschende Willensrich-
tung des Mannes beschaffen ist, nennt man
seinen Charakter einen guten oder schlechten.
Der gute Charakter ist schön und edel, der
schlechte ist immer häßlich. Gewissermaßen
noch verächtlicher ist der Mann, wenn er cha-
rakterlos ist, d. h. wenn er gar keine feste
Willensrichtung hat, sondern in seinem Wol-
len und Thun von der Laune, von augen-
blicklichen Umständen, von den Eingebungen
der Triebe und Neigungen abhängt. Zum
guten Charakter gehört nicht bloß, daß die
Richtung des Willens eine gute sei, – das
letztere ist auch im braven Kinde der Fall,
und doch redet man bei ihm noch nicht von
Charakter, – sondern die gute Willensrichtung
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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