Wenn der junge Christ selbständig wird, soll er nicht der Sklave einer Neigung sein, son- dern er soll sie alle unter der Gewalt seines freien Willens haben. Insbesondere ist auf zwei Punkte wohl zu achten. Man bekämpfe jedes Gefühl des Neides gegenüber von Bessergestellten, und man lehre das Kind von Jugend auf, genügsam zu sein. Wer sich mit dem bescheidet, was er hat, auch wenn es wenig ist, und andern, die mehr haben, das Ihrige gönnen mag, der ist neidlos und genügsam, und damit mehr befähigt für Zu- friedenheit und wahres Glück, als der Reiche mit ungezügelten Begierden. Christliche El- tern sollen das beachten in Bezug auf Vergnügen, Kleidung und Lebensart. Sie sollen in nichts über Stand und Vermögen hinausgehen, und die Kinder anleiten, da- mit zufrieden zu sein, ohne andere zu be- neiden.
Die heidnischen Weisen lehrten Zufrie- denheit und Genügsamkeit, indem sie das Verlangen nach Reichtum, Genuß und Ruhm als Thorheit verspotteten. Es war das wohl richtig, was sie über diese thörichten Lei- denschaften sagten, aber eigentliche Seelen- ruhe und Zufriedenheit vermochten sie da-
Wenn der junge Christ selbständig wird, soll er nicht der Sklave einer Neigung sein, son- dern er soll sie alle unter der Gewalt seines freien Willens haben. Insbesondere ist auf zwei Punkte wohl zu achten. Man bekämpfe jedes Gefühl des Neides gegenüber von Bessergestellten, und man lehre das Kind von Jugend auf, genügsam zu sein. Wer sich mit dem bescheidet, was er hat, auch wenn es wenig ist, und andern, die mehr haben, das Ihrige gönnen mag, der ist neidlos und genügsam, und damit mehr befähigt für Zu- friedenheit und wahres Glück, als der Reiche mit ungezügelten Begierden. Christliche El- tern sollen das beachten in Bezug auf Vergnügen, Kleidung und Lebensart. Sie sollen in nichts über Stand und Vermögen hinausgehen, und die Kinder anleiten, da- mit zufrieden zu sein, ohne andere zu be- neiden.
Die heidnischen Weisen lehrten Zufrie- denheit und Genügsamkeit, indem sie das Verlangen nach Reichtum, Genuß und Ruhm als Thorheit verspotteten. Es war das wohl richtig, was sie über diese thörichten Lei- denschaften sagten, aber eigentliche Seelen- ruhe und Zufriedenheit vermochten sie da-
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Wenn der junge Christ selbständig wird, soll
er nicht der Sklave einer Neigung sein, son-
dern er soll sie alle unter der Gewalt seines
freien Willens haben. Insbesondere ist auf
zwei Punkte wohl zu achten. Man bekämpfe
jedes Gefühl des Neides gegenüber von
Bessergestellten, und man lehre das Kind
von Jugend auf, genügsam zu sein. Wer sich
mit dem bescheidet, was er hat, auch wenn
es wenig ist, und andern, die mehr haben,
das Ihrige gönnen mag, der ist neidlos und
genügsam, und damit mehr befähigt für Zu-
friedenheit und wahres Glück, als der Reiche
mit ungezügelten Begierden. Christliche El-
tern sollen das beachten in Bezug auf
Vergnügen, Kleidung und Lebensart. Sie
sollen in nichts über Stand und Vermögen
hinausgehen, und die Kinder anleiten, da-
mit zufrieden zu sein, ohne andere zu be-
neiden.
Die heidnischen Weisen lehrten Zufrie-
denheit und Genügsamkeit, indem sie das
Verlangen nach Reichtum, Genuß und Ruhm
als Thorheit verspotteten. Es war das wohl
richtig, was sie über diese thörichten Lei-
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/251>, abgerufen am 21.11.2024.
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