Kinder anfangen wie junge Oelbaumpflan- zen um den Tisch zu stehen (Ps. 127.), und immer größer werden, so hat der Vater die Mittagshöhe seines Lebens überschritten, und es geht schneller oder langsamer dem Abend zu. Wenn ihn die Hand des Todes nicht vor der Zeit hinwegrafft, so macht sich die Unbeständigkeit alles Irdischen in seiner Um- gebung und an ihm selber schrittweise im- mer deutlicher bemerkbar. Das eigentliche Familienleben mit den Freuden und Sor- gen der Erziehung geht rasch vorüber, die Kinder werden versorgt, suchen anderswo ihr Auskommen, der Tod lichtet die Zahl der Angehörigen, und ehe man sichs versieht, ist die Familie nicht mehr da, der häusliche Herd ist verschwunden wie ein Hirtenzelt, wel- ches man nach kurzem Aufenthalt zusammen- rollt. Die Aufgabe des Vaters ist gut oder übel erfüllt, er ist ein alternder Baum, der dasteht, bis ein Sturm oder Entkräftung ihn zum Falle bringen. Das ist der Gang des Lebens, von dem keiner ausgenommen ist.
Aber wie die Tage verschieden sind, so sind es auch die Abende. Bald strahlt die Sonne den ganzen Tag am wolkenlosen Himmel und scheidet am Abend wie eine
Kinder anfangen wie junge Oelbaumpflan- zen um den Tisch zu stehen (Ps. 127.), und immer größer werden, so hat der Vater die Mittagshöhe seines Lebens überschritten, und es geht schneller oder langsamer dem Abend zu. Wenn ihn die Hand des Todes nicht vor der Zeit hinwegrafft, so macht sich die Unbeständigkeit alles Irdischen in seiner Um- gebung und an ihm selber schrittweise im- mer deutlicher bemerkbar. Das eigentliche Familienleben mit den Freuden und Sor- gen der Erziehung geht rasch vorüber, die Kinder werden versorgt, suchen anderswo ihr Auskommen, der Tod lichtet die Zahl der Angehörigen, und ehe man sichs versieht, ist die Familie nicht mehr da, der häusliche Herd ist verschwunden wie ein Hirtenzelt, wel- ches man nach kurzem Aufenthalt zusammen- rollt. Die Aufgabe des Vaters ist gut oder übel erfüllt, er ist ein alternder Baum, der dasteht, bis ein Sturm oder Entkräftung ihn zum Falle bringen. Das ist der Gang des Lebens, von dem keiner ausgenommen ist.
Aber wie die Tage verschieden sind, so sind es auch die Abende. Bald strahlt die Sonne den ganzen Tag am wolkenlosen Himmel und scheidet am Abend wie eine
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Kinder anfangen wie junge Oelbaumpflan-
zen um den Tisch zu stehen (Ps. 127.), und
immer größer werden, so hat der Vater die
Mittagshöhe seines Lebens überschritten, und
es geht schneller oder langsamer dem Abend
zu. Wenn ihn die Hand des Todes nicht
vor der Zeit hinwegrafft, so macht sich die
Unbeständigkeit alles Irdischen in seiner Um-
gebung und an ihm selber schrittweise im-
mer deutlicher bemerkbar. Das eigentliche
Familienleben mit den Freuden und Sor-
gen der Erziehung geht rasch vorüber, die
Kinder werden versorgt, suchen anderswo
ihr Auskommen, der Tod lichtet die Zahl
der Angehörigen, und ehe man sichs versieht,
ist die Familie nicht mehr da, der häusliche
Herd ist verschwunden wie ein Hirtenzelt, wel-
ches man nach kurzem Aufenthalt zusammen-
rollt. Die Aufgabe des Vaters ist gut oder
übel erfüllt, er ist ein alternder Baum, der
dasteht, bis ein Sturm oder Entkräftung ihn
zum Falle bringen. Das ist der Gang des
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sind es auch die Abende. Bald strahlt die
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/278>, abgerufen am 21.11.2024.
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