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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Freude über und über roth waren. Hin und wie¬
der zogen fröhliche, dicke Gesichter, wie Vollmon¬
de, durch diesen Sternenhimmel. Mitten in dem
Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬
tyr, in den abentheuerlichsten, übertriebensten
Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles
Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der
Gesellschaft in eine einzige Karrikatur zusammendrän¬
gen. Bald darauf sah man ihn auch unter den
Musikanten eben so mit Leib und Seele die Geige
streichen. Das ist ein höchst seltsamer Gesell, sagte
Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es
ist doch ein sonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬
drich
nach einer Weile, so draußen aus der wei¬
ten, stillen Einsamkeit auf einmal in die bunte Lust
der Menschen hineinzusehen, ohne ihren inneren
Zusammenhang zu kennen; wie sie sich, gleich Ma¬
rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen
und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was
sie sprechen. -- O, ich könnte mir, sagte Leontin,
kein schauerlicheres und lächerlicheres Schauspiel zu¬
gleich wünschen, als eine Bande Musikanten, die
recht eifrig und in den schwierigsten Passagen spiel¬
ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne
daß ich einen Laut von der Musik vernähme. --
Und hast du dieses Schauspiel nicht im Grunde täg¬
lich? entgegnete Friedrich. Gestikuliren, quälen
und mühen sich nicht überhaupt alle Menschen ab,
die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu gestal¬
ten, die jedem in tiefster Seele mitgegeben ist,

Freude über und über roth waren. Hin und wie¬
der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬
de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem
Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬
tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten
Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles
Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der
Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬
gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den
Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige
ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte
Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es
iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬
drich
nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬
ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt
der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren
Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬
rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen
und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was
ſie ſprechen. — O, ich könnte mir, ſagte Leontin,
kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬
gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die
recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬
ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne
daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. —
Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬
lich? entgegnete Friedrich. Geſtikuliren, quälen
und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab,
die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬
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[95/0101] Freude über und über roth waren. Hin und wie¬ der zogen fröhliche, dicke Geſichter, wie Vollmon¬ de, durch dieſen Sternenhimmel. Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬ tyr, in den abentheuerlichſten, übertriebenſten Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der Geſellſchaft in eine einzige Karrikatur zuſammendrän¬ gen. Bald darauf ſah man ihn auch unter den Muſikanten eben ſo mit Leib und Seele die Geige ſtreichen. Das iſt ein höchſt ſeltſamer Geſell, ſagte Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es iſt doch ein ſonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬ drich nach einer Weile, ſo draußen aus der wei¬ ten, ſtillen Einſamkeit auf einmal in die bunte Luſt der Menſchen hineinzuſehen, ohne ihren inneren Zuſammenhang zu kennen; wie ſie ſich, gleich Ma¬ rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was ſie ſprechen. — O, ich könnte mir, ſagte Leontin, kein ſchauerlicheres und lächerlicheres Schauſpiel zu¬ gleich wünſchen, als eine Bande Muſikanten, die recht eifrig und in den ſchwierigſten Paſſagen ſpiel¬ ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne daß ich einen Laut von der Muſik vernähme. — Und haſt du dieſes Schauſpiel nicht im Grunde täg¬ lich? entgegnete Friedrich. Geſtikuliren, quälen und mühen ſich nicht überhaupt alle Menſchen ab, die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu geſtal¬ ten, die jedem in tiefſter Seele mitgegeben iſt,

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/101>, abgerufen am 27.11.2024.