lein hatten im Hofe zu thun und wurden gewöhnlich erst gegen Mittag in reinlichen, weissen Kleidern sichtbar. Friedrich und Leontin wohnten ei¬ gentlich den ganzen Vormittag draussen in dem schönen Garten. Auf Friedrich hatte das stille Leben den wohlthätigsten Einfluß. Seine Seele be¬ fand sich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein sie, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees, im Stande ist, den Himmel in sich aufzunehmen. Das Rauschen des Waldes, der Vogelsang rings um ihn her, diese seit seiner Kindheit entbehrte grüne Abgeschiedenheit, alles rief in seiner Brust jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens versenkt, wo alle die Farbenstrahlen, gleich Radien, ausgeh'n und sich an der wechselnden Oberfläche zu dem schmerzlich¬ schönen Spiele der Erscheinung gestalten. Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ern¬ ster und würdiger an uns vorüber, eine über¬ schwengliche Zukunft legt sich, wie ein Morgenroth, blühend über die Bilder und so entsteht aus Ah¬ nung und Erinnerung eine neue Welt in uns und wir erkennen wohl alle die Gegenden und Gestalten wieder, aber sie sind größer, schöner und gewalti¬ ger und wandeln in einem anderen, wunderbaren Lichte. Und so dichtete hier Friedrich unzählige Lieder und wunderbare Geschichten aus tiefster Her¬ zenslust, und es waren fast die glücklichsten Stun¬ den seines Lebens.
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lein hatten im Hofe zu thun und wurden gewöhnlich erſt gegen Mittag in reinlichen, weiſſen Kleidern ſichtbar. Friedrich und Leontin wohnten ei¬ gentlich den ganzen Vormittag drauſſen in dem ſchönen Garten. Auf Friedrich hatte das ſtille Leben den wohlthätigſten Einfluß. Seine Seele be¬ fand ſich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein ſie, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees, im Stande iſt, den Himmel in ſich aufzunehmen. Das Rauſchen des Waldes, der Vogelſang rings um ihn her, dieſe ſeit ſeiner Kindheit entbehrte grüne Abgeſchiedenheit, alles rief in ſeiner Bruſt jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens verſenkt, wo alle die Farbenſtrahlen, gleich Radien, ausgeh'n und ſich an der wechſelnden Oberfläche zu dem ſchmerzlich¬ ſchönen Spiele der Erſcheinung geſtalten. Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ern¬ ſter und würdiger an uns vorüber, eine über¬ ſchwengliche Zukunft legt ſich, wie ein Morgenroth, blühend über die Bilder und ſo entſteht aus Ah¬ nung und Erinnerung eine neue Welt in uns und wir erkennen wohl alle die Gegenden und Geſtalten wieder, aber ſie ſind größer, ſchöner und gewalti¬ ger und wandeln in einem anderen, wunderbaren Lichte. Und ſo dichtete hier Friedrich unzählige Lieder und wunderbare Geſchichten aus tiefſter Her¬ zensluſt, und es waren faſt die glücklichſten Stun¬ den ſeines Lebens.
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lein hatten im Hofe zu thun und wurden gewöhnlich
erſt gegen Mittag in reinlichen, weiſſen Kleidern
ſichtbar. Friedrich und Leontin wohnten ei¬
gentlich den ganzen Vormittag drauſſen in dem
ſchönen Garten. Auf Friedrich hatte das ſtille
Leben den wohlthätigſten Einfluß. Seine Seele be¬
fand ſich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein
ſie, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees,
im Stande iſt, den Himmel in ſich aufzunehmen.
Das Rauſchen des Waldes, der Vogelſang rings
um ihn her, dieſe ſeit ſeiner Kindheit entbehrte
grüne Abgeſchiedenheit, alles rief in ſeiner Bruſt
jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in
den Mittelpunkt alles Lebens verſenkt, wo alle die
Farbenſtrahlen, gleich Radien, ausgeh'n und ſich
an der wechſelnden Oberfläche zu dem ſchmerzlich¬
ſchönen Spiele der Erſcheinung geſtalten. Alles
Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ern¬
ſter und würdiger an uns vorüber, eine über¬
ſchwengliche Zukunft legt ſich, wie ein Morgenroth,
blühend über die Bilder und ſo entſteht aus Ah¬
nung und Erinnerung eine neue Welt in uns und
wir erkennen wohl alle die Gegenden und Geſtalten
wieder, aber ſie ſind größer, ſchöner und gewalti¬
ger und wandeln in einem anderen, wunderbaren
Lichte. Und ſo dichtete hier Friedrich unzählige
Lieder und wunderbare Geſchichten aus tiefſter Her¬
zensluſt, und es waren faſt die glücklichſten Stun¬
den ſeines Lebens.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/119>, abgerufen am 27.11.2024.
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