Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts. -- Mit deiner ewigen Gelassenheit, fiel ihm
hier die Schwester heftig in's Wort, wirst du noch
alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬
nen Kindes nicht. Und ich sage dir, ich ruhe und
raste nicht, bis sie ein Paar werden! -- Sie wa¬
ren unterdeß schon wieder von der anderen Seite
hinter den Bäumen verschwunden, und er konnte
nichts mehr versteh'n.

Er stieg rasch vom Baume herab. Noch bin ich
frey und ledig! rief er aus und schüttelte alle
Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem
soliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer
abgestandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat
die Liebe zwey Gesichter wie Janus. Mit dem ei¬
nen buhlt diese ungetreue, reitzende Fortuna auf
ihrer farbigen Kugel mit der frischen Jugend um
flüchtige Küsse; doch willst du sie plump haschen und
festhalten, kehrt sie dir plötzlich das andere, alte,
verschrumpfte Gesicht zu, das dich unbarmherzig zu
Tode schmatzt. -- Heyrathen und fett werden, mit
der Schlafmütze auf dem Kopfe hinaussehen, wie
draussen Aurora scheint, Wälder und Ströme noch
immer ohne Ruhe fortrauschen müssen, Soldaten
über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf
den Bauch schlagen und: Gott sey Dank! rufen
können, das ist freylich ein Glück! -- Und doch
noch tausendmal widerlicher sind mir die Faun-
Gesichter von Hagestolzen, wie sie sich um die
Mauern streichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬

nichts. — Mit deiner ewigen Gelaſſenheit, fiel ihm
hier die Schweſter heftig in's Wort, wirſt du noch
alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬
nen Kindes nicht. Und ich ſage dir, ich ruhe und
raſte nicht, bis ſie ein Paar werden! — Sie wa¬
ren unterdeß ſchon wieder von der anderen Seite
hinter den Bäumen verſchwunden, und er konnte
nichts mehr verſteh'n.

Er ſtieg raſch vom Baume herab. Noch bin ich
frey und ledig! rief er aus und ſchüttelte alle
Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem
ſoliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer
abgeſtandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat
die Liebe zwey Geſichter wie Janus. Mit dem ei¬
nen buhlt dieſe ungetreue, reitzende Fortuna auf
ihrer farbigen Kugel mit der friſchen Jugend um
flüchtige Küſſe; doch willſt du ſie plump haſchen und
feſthalten, kehrt ſie dir plötzlich das andere, alte,
verſchrumpfte Geſicht zu, das dich unbarmherzig zu
Tode ſchmatzt. — Heyrathen und fett werden, mit
der Schlafmütze auf dem Kopfe hinausſehen, wie
drauſſen Aurora ſcheint, Wälder und Ströme noch
immer ohne Ruhe fortrauſchen müſſen, Soldaten
über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf
den Bauch ſchlagen und: Gott ſey Dank! rufen
können, das iſt freylich ein Glück! — Und doch
noch tauſendmal widerlicher ſind mir die Faun-
Geſichter von Hageſtolzen, wie ſie ſich um die
Mauern ſtreichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="157"/>
nichts. &#x2014; Mit deiner ewigen Gela&#x017F;&#x017F;enheit, fiel ihm<lb/>
hier die Schwe&#x017F;ter heftig in's Wort, wir&#x017F;t du noch<lb/>
alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬<lb/>
nen Kindes nicht. Und ich &#x017F;age dir, ich ruhe und<lb/>
ra&#x017F;te nicht, bis &#x017F;ie ein Paar werden! &#x2014; Sie wa¬<lb/>
ren unterdeß &#x017F;chon wieder von der anderen Seite<lb/>
hinter den Bäumen ver&#x017F;chwunden, und er konnte<lb/>
nichts mehr ver&#x017F;teh'n.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;tieg ra&#x017F;ch vom Baume herab. Noch bin ich<lb/>
frey und ledig! rief er aus und &#x017F;chüttelte alle<lb/>
Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem<lb/>
&#x017F;oliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer<lb/>
abge&#x017F;tandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat<lb/>
die Liebe zwey Ge&#x017F;ichter wie Janus. Mit dem ei¬<lb/>
nen buhlt die&#x017F;e ungetreue, reitzende Fortuna auf<lb/>
ihrer farbigen Kugel mit der fri&#x017F;chen Jugend um<lb/>
flüchtige Kü&#x017F;&#x017F;e; doch will&#x017F;t du &#x017F;ie plump ha&#x017F;chen und<lb/>
fe&#x017F;thalten, kehrt &#x017F;ie dir plötzlich das andere, alte,<lb/>
ver&#x017F;chrumpfte Ge&#x017F;icht zu, das dich unbarmherzig zu<lb/>
Tode &#x017F;chmatzt. &#x2014; Heyrathen und fett werden, mit<lb/>
der Schlafmütze auf dem Kopfe hinaus&#x017F;ehen, wie<lb/>
drau&#x017F;&#x017F;en Aurora &#x017F;cheint, Wälder und Ströme noch<lb/>
immer ohne Ruhe fortrau&#x017F;chen mü&#x017F;&#x017F;en, Soldaten<lb/>
über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf<lb/>
den Bauch &#x017F;chlagen und: Gott &#x017F;ey Dank! rufen<lb/>
können, das i&#x017F;t freylich ein Glück! &#x2014; Und doch<lb/>
noch tau&#x017F;endmal widerlicher &#x017F;ind mir die Faun-<lb/>
Ge&#x017F;ichter von Hage&#x017F;tolzen, wie &#x017F;ie &#x017F;ich um die<lb/>
Mauern &#x017F;treichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0163] nichts. — Mit deiner ewigen Gelaſſenheit, fiel ihm hier die Schweſter heftig in's Wort, wirſt du noch alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬ nen Kindes nicht. Und ich ſage dir, ich ruhe und raſte nicht, bis ſie ein Paar werden! — Sie wa¬ ren unterdeß ſchon wieder von der anderen Seite hinter den Bäumen verſchwunden, und er konnte nichts mehr verſteh'n. Er ſtieg raſch vom Baume herab. Noch bin ich frey und ledig! rief er aus und ſchüttelte alle Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem ſoliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer abgeſtandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat die Liebe zwey Geſichter wie Janus. Mit dem ei¬ nen buhlt dieſe ungetreue, reitzende Fortuna auf ihrer farbigen Kugel mit der friſchen Jugend um flüchtige Küſſe; doch willſt du ſie plump haſchen und feſthalten, kehrt ſie dir plötzlich das andere, alte, verſchrumpfte Geſicht zu, das dich unbarmherzig zu Tode ſchmatzt. — Heyrathen und fett werden, mit der Schlafmütze auf dem Kopfe hinausſehen, wie drauſſen Aurora ſcheint, Wälder und Ströme noch immer ohne Ruhe fortrauſchen müſſen, Soldaten über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf den Bauch ſchlagen und: Gott ſey Dank! rufen können, das iſt freylich ein Glück! — Und doch noch tauſendmal widerlicher ſind mir die Faun- Geſichter von Hageſtolzen, wie ſie ſich um die Mauern ſtreichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/163
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/163>, abgerufen am 27.11.2024.