nahe Lust zu zürnen, daß sie ihn nicht zu Hause er¬ wartet habe. Wo ist denn die kleine Marie? frug er nach einer Weile wieder. O, die ist lange aus den Diensten der Gräfin, sagte das Mädchen mit gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einer schnippischen Miene. Friedrich glaubte, es gälte seine staubige Reisekleidung; alles ärgerte ihn, er ließ den Affen steh'n und gieng, ohne seinen Nahmen zu hinterlassen, wieder fort.
Verdrüßlich nahm er den Weg zu den Redou¬ tensälen. Die Musik schallte lockend aus den hohen Bogenfenstern, die ihre Scheine weit unten über den einsamen Platz warfen. Ein alter Springbrun¬ nen stand in der Mitte des Platzes, über den nur noch einzelne dunkle Gestalten hin und her irrten. Friedrich blieb lange an dem Brunnen stehen, der seltsam zwischen den Tönen von oben fortrauschte. Aber ein Polizeydiener, der, in seinen Mantel ge¬ hüllt, an der Ecke lauerte, verjagte ihn endlich durch die Aufmerksamkeit, mit der er ihn zu beob¬ achten schien.
Er gieng in's Haus hinein, versah sich mit ei¬ nem Domino und einer Larve, und hoffte seine Rosa noch heute in dem Getümmel herauszufinden. Ge¬ blendet trat er aus der stillen Nacht in den plötz¬ lichen Schwall von Tönen, Lichtern und Stimmen, der wie ein Zaubermeer mit rastlos beweglichen, klingenden Wogen über ihm zusammenschlug. Zwey große, hohe Säle, nur leicht von einander geschie¬ den, eröffneten die unermeßlichste Aussicht. Er stell¬
nahe Luſt zu zürnen, daß ſie ihn nicht zu Hauſe er¬ wartet habe. Wo iſt denn die kleine Marie? frug er nach einer Weile wieder. O, die iſt lange aus den Dienſten der Gräfin, ſagte das Mädchen mit gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einer ſchnippiſchen Miene. Friedrich glaubte, es gälte ſeine ſtaubige Reiſekleidung; alles ärgerte ihn, er ließ den Affen ſteh'n und gieng, ohne ſeinen Nahmen zu hinterlaſſen, wieder fort.
Verdrüßlich nahm er den Weg zu den Redou¬ tenſälen. Die Muſik ſchallte lockend aus den hohen Bogenfenſtern, die ihre Scheine weit unten über den einſamen Platz warfen. Ein alter Springbrun¬ nen ſtand in der Mitte des Platzes, über den nur noch einzelne dunkle Geſtalten hin und her irrten. Friedrich blieb lange an dem Brunnen ſtehen, der ſeltſam zwiſchen den Tönen von oben fortrauſchte. Aber ein Polizeydiener, der, in ſeinen Mantel ge¬ hüllt, an der Ecke lauerte, verjagte ihn endlich durch die Aufmerkſamkeit, mit der er ihn zu beob¬ achten ſchien.
Er gieng in's Haus hinein, verſah ſich mit ei¬ nem Domino und einer Larve, und hoffte ſeine Roſa noch heute in dem Getümmel herauszufinden. Ge¬ blendet trat er aus der ſtillen Nacht in den plötz¬ lichen Schwall von Tönen, Lichtern und Stimmen, der wie ein Zaubermeer mit raſtlos beweglichen, klingenden Wogen über ihm zuſammenſchlug. Zwey große, hohe Säle, nur leicht von einander geſchie¬ den, eröffneten die unermeßlichſte Ausſicht. Er ſtell¬
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nahe Luſt zu zürnen, daß ſie ihn nicht zu Hauſe er¬
wartet habe. Wo iſt denn die kleine Marie? frug
er nach einer Weile wieder. O, die iſt lange aus
den Dienſten der Gräfin, ſagte das Mädchen mit
gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben
bis unten mit einer ſchnippiſchen Miene. Friedrich
glaubte, es gälte ſeine ſtaubige Reiſekleidung; alles
ärgerte ihn, er ließ den Affen ſteh'n und gieng,
ohne ſeinen Nahmen zu hinterlaſſen, wieder fort.
Verdrüßlich nahm er den Weg zu den Redou¬
tenſälen. Die Muſik ſchallte lockend aus den hohen
Bogenfenſtern, die ihre Scheine weit unten über
den einſamen Platz warfen. Ein alter Springbrun¬
nen ſtand in der Mitte des Platzes, über den nur
noch einzelne dunkle Geſtalten hin und her irrten.
Friedrich blieb lange an dem Brunnen ſtehen, der
ſeltſam zwiſchen den Tönen von oben fortrauſchte.
Aber ein Polizeydiener, der, in ſeinen Mantel ge¬
hüllt, an der Ecke lauerte, verjagte ihn endlich
durch die Aufmerkſamkeit, mit der er ihn zu beob¬
achten ſchien.
Er gieng in's Haus hinein, verſah ſich mit ei¬
nem Domino und einer Larve, und hoffte ſeine Roſa
noch heute in dem Getümmel herauszufinden. Ge¬
blendet trat er aus der ſtillen Nacht in den plötz¬
lichen Schwall von Tönen, Lichtern und Stimmen,
der wie ein Zaubermeer mit raſtlos beweglichen,
klingenden Wogen über ihm zuſammenſchlug. Zwey
große, hohe Säle, nur leicht von einander geſchie¬
den, eröffneten die unermeßlichſte Ausſicht. Er ſtell¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/180>, abgerufen am 25.11.2024.
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