seine flache Hand, aber keiner paßte auf seinen Nahmen.
Er zog sie an ein Tischchen und kaufte ihr Zu¬ cker und Naschwerk. Mit ungemeiner Zierlichkeit wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu theilen und blinzelte ihm dazwischen oft neugierig in die Augen. Unbesorgt um die Reize, die sie dabey enthüllte, riß sie einen Blumenstrauß von ihrem Bu¬ sen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten, sonderbaren Wirth, der immerfort so stumm und kalt neben ihr saß. Die Blumen sind ja alle schon verwelkt, sagte Friedrich, zerzupfte den Strauß und warf die Stücke auf die Erde. Mario schlug ihn lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen Blumen aus. Er bat endlich um die Erlaubniß, sie nach Hause begleiten zu dürfen, und sie willig¬ te mit einem freudigen Händedruck ein.
Als er sie nun durch den Saal fortführte, war unterdeß alles leer geworden. Die Lampen waren größtentheils verlöscht und warfen nur noch zucken¬ de, falbe Scheine durch den Qualm und Staub, in welchen das ganze bunte Leben verraucht schien. Die Musikanten spielten wohl fort aber nur noch einzelne Gestalten wankten auf und ab, demaskirt, nüchtern und übersatt. Mitten in dieser Zerstörung glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leon¬ tin todtenblaß und mit verwirrtem Haar in einem fernen Winkel schlafen zu sehen. Er blieb erstaunt stehen, alles kam ihm wie ein Traum vor. Aber
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ſeine flache Hand, aber keiner paßte auf ſeinen Nahmen.
Er zog ſie an ein Tiſchchen und kaufte ihr Zu¬ cker und Naſchwerk. Mit ungemeiner Zierlichkeit wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu theilen und blinzelte ihm dazwiſchen oft neugierig in die Augen. Unbeſorgt um die Reize, die ſie dabey enthüllte, riß ſie einen Blumenſtrauß von ihrem Bu¬ ſen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten, ſonderbaren Wirth, der immerfort ſo ſtumm und kalt neben ihr ſaß. Die Blumen ſind ja alle ſchon verwelkt, ſagte Friedrich, zerzupfte den Strauß und warf die Stücke auf die Erde. Mario ſchlug ihn lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen Blumen aus. Er bat endlich um die Erlaubniß, ſie nach Hauſe begleiten zu dürfen, und ſie willig¬ te mit einem freudigen Händedruck ein.
Als er ſie nun durch den Saal fortführte, war unterdeß alles leer geworden. Die Lampen waren größtentheils verlöſcht und warfen nur noch zucken¬ de, falbe Scheine durch den Qualm und Staub, in welchen das ganze bunte Leben verraucht ſchien. Die Muſikanten ſpielten wohl fort aber nur noch einzelne Geſtalten wankten auf und ab, demaſkirt, nüchtern und überſatt. Mitten in dieſer Zerſtörung glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leon¬ tin todtenblaß und mit verwirrtem Haar in einem fernen Winkel ſchlafen zu ſehen. Er blieb erſtaunt ſtehen, alles kam ihm wie ein Traum vor. Aber
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ſeine flache Hand, aber keiner paßte auf ſeinen
Nahmen.
Er zog ſie an ein Tiſchchen und kaufte ihr Zu¬
cker und Naſchwerk. Mit ungemeiner Zierlichkeit
wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu theilen
und blinzelte ihm dazwiſchen oft neugierig in die
Augen. Unbeſorgt um die Reize, die ſie dabey
enthüllte, riß ſie einen Blumenſtrauß von ihrem Bu¬
ſen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten,
ſonderbaren Wirth, der immerfort ſo ſtumm und
kalt neben ihr ſaß. Die Blumen ſind ja alle ſchon
verwelkt, ſagte Friedrich, zerzupfte den Strauß und
warf die Stücke auf die Erde. Mario ſchlug ihn
lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen
Blumen aus. Er bat endlich um die Erlaubniß,
ſie nach Hauſe begleiten zu dürfen, und ſie willig¬
te mit einem freudigen Händedruck ein.
Als er ſie nun durch den Saal fortführte, war
unterdeß alles leer geworden. Die Lampen waren
größtentheils verlöſcht und warfen nur noch zucken¬
de, falbe Scheine durch den Qualm und Staub, in
welchen das ganze bunte Leben verraucht ſchien.
Die Muſikanten ſpielten wohl fort aber nur noch
einzelne Geſtalten wankten auf und ab, demaſkirt,
nüchtern und überſatt. Mitten in dieſer Zerſtörung
glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leon¬
tin todtenblaß und mit verwirrtem Haar in einem
fernen Winkel ſchlafen zu ſehen. Er blieb erſtaunt
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/185>, abgerufen am 25.11.2024.
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