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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Marie drängte ihn schnell und ängstlich fort, als
wäre es unheimlich, länger an dem Orte zu hau¬
sen.

Als sie unten zusammen im Wagen saßen, sag¬
te Marie zu Friedrich: Ihre Stimme hat eine son¬
derbare Aehnlichkeit mit der eines Herrn, den ich
sonst gekannt habe. Friedrich antwortete nichts dar¬
auf. Ach Gott! sagte sie bald nachher, die Nacht
ist heut gar so schwül und finster! Sie öffnete das
Kutschenfenster, und er sah bey dem matten Schim¬
mer einer Laterne, an der sie vorüberflogen, daß sie
ernsthaft und in Gedanken versunken war. Sie
fuhren lange durch eine Menge enger und finsterer
Gäßchen, endlich rief Marie dem Kutscher zu, und
sie hielten vor einem abgelegenen, kleinen Hause.
Sie sprang schnell aus dem Wagen und in das Haus
hinein. Ein Mädchen, das in Mariens Diensten zu
seyn schien, empfieng sie an der Hausthüre. Er ist
mein, er ist mein! rief Marie kaum hörbar, aber
aus Herzensgrunde, dem Mädchen im Vorübergehen
zu und schlüpfte in ein Zimmer.

Das Mädchen führte den Grafen mit prüfen¬
den Blicken über ein kleines Treppchen zu einer an¬
deren Thüre. Warum, sagte sie, sind Sie gestern
Abends nicht schon zu uns gekommen, da sie vor¬
beyritten, und so freundlich heraufgrüßten? Ich
sollte wohl nichts sagen, aber seit acht Tagen spricht
und träumt die arme Marie von nichts, als von
Ihnen, und wenn es länger gedauert hätte, wäre
sie gewiß bald gestorben. Friedrich wollte fragen,

Marie drängte ihn ſchnell und ängſtlich fort, als
wäre es unheimlich, länger an dem Orte zu hau¬
ſen.

Als ſie unten zuſammen im Wagen ſaßen, ſag¬
te Marie zu Friedrich: Ihre Stimme hat eine ſon¬
derbare Aehnlichkeit mit der eines Herrn, den ich
ſonſt gekannt habe. Friedrich antwortete nichts dar¬
auf. Ach Gott! ſagte ſie bald nachher, die Nacht
iſt heut gar ſo ſchwül und finſter! Sie öffnete das
Kutſchenfenſter, und er ſah bey dem matten Schim¬
mer einer Laterne, an der ſie vorüberflogen, daß ſie
ernſthaft und in Gedanken verſunken war. Sie
fuhren lange durch eine Menge enger und finſterer
Gäßchen, endlich rief Marie dem Kutſcher zu, und
ſie hielten vor einem abgelegenen, kleinen Hauſe.
Sie ſprang ſchnell aus dem Wagen und in das Haus
hinein. Ein Mädchen, das in Mariens Dienſten zu
ſeyn ſchien, empfieng ſie an der Hausthüre. Er iſt
mein, er iſt mein! rief Marie kaum hörbar, aber
aus Herzensgrunde, dem Mädchen im Vorübergehen
zu und ſchlüpfte in ein Zimmer.

Das Mädchen führte den Grafen mit prüfen¬
den Blicken über ein kleines Treppchen zu einer an¬
deren Thüre. Warum, ſagte ſie, ſind Sie geſtern
Abends nicht ſchon zu uns gekommen, da ſie vor¬
beyritten, und ſo freundlich heraufgrüßten? Ich
ſollte wohl nichts ſagen, aber ſeit acht Tagen ſpricht
und träumt die arme Marie von nichts, als von
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[180/0186] Marie drängte ihn ſchnell und ängſtlich fort, als wäre es unheimlich, länger an dem Orte zu hau¬ ſen. Als ſie unten zuſammen im Wagen ſaßen, ſag¬ te Marie zu Friedrich: Ihre Stimme hat eine ſon¬ derbare Aehnlichkeit mit der eines Herrn, den ich ſonſt gekannt habe. Friedrich antwortete nichts dar¬ auf. Ach Gott! ſagte ſie bald nachher, die Nacht iſt heut gar ſo ſchwül und finſter! Sie öffnete das Kutſchenfenſter, und er ſah bey dem matten Schim¬ mer einer Laterne, an der ſie vorüberflogen, daß ſie ernſthaft und in Gedanken verſunken war. Sie fuhren lange durch eine Menge enger und finſterer Gäßchen, endlich rief Marie dem Kutſcher zu, und ſie hielten vor einem abgelegenen, kleinen Hauſe. Sie ſprang ſchnell aus dem Wagen und in das Haus hinein. Ein Mädchen, das in Mariens Dienſten zu ſeyn ſchien, empfieng ſie an der Hausthüre. Er iſt mein, er iſt mein! rief Marie kaum hörbar, aber aus Herzensgrunde, dem Mädchen im Vorübergehen zu und ſchlüpfte in ein Zimmer. Das Mädchen führte den Grafen mit prüfen¬ den Blicken über ein kleines Treppchen zu einer an¬ deren Thüre. Warum, ſagte ſie, ſind Sie geſtern Abends nicht ſchon zu uns gekommen, da ſie vor¬ beyritten, und ſo freundlich heraufgrüßten? Ich ſollte wohl nichts ſagen, aber ſeit acht Tagen ſpricht und träumt die arme Marie von nichts, als von Ihnen, und wenn es länger gedauert hätte, wäre ſie gewiß bald geſtorben. Friedrich wollte fragen,

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/186>, abgerufen am 25.11.2024.