Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Höflichkeit empfieng. Denn so möchte man jene
Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten will,
und keinen Zug mehr ihres Ursprungs, der wohl¬
wollenden Güte, an sich hat. Der Minister las
das Schreiben schnell durch und erkundigte sich um
die Familienverhältnisse des Grafen mit wenigen
sonderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu seiner
höchsten Verwunderung ersah, daß der Minister in
die Geheimnisse seiner Familie eingeweihter seyn
müsse, als er selber, und er betrachtete den kalten
Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger
Scheu.

Während dieser Unterredung kam unten ein
junger Mann in soldatischer Kleidung die Strasse
herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬
liges Bild voriger rechter Jugend, dessen Anblick
unser Auge längst entwöhnt ist, uns plötzlich begeg¬
nete, so ragte der herrliche Reiter über die verwor¬
rene, falbe Menge, die sein wildes Roß auseinan¬
dersprengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er
nickte freundlich in das Fenster hinauf, der Minister
verneigte sich tief; es war der Erbprinz.

Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürstliche
Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck
gemacht, den er, so lange er lebte, nie wieder aus¬
zulöschen vermochte. Er sagte es dem Minister.
Der Minister lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬
tisirende, eingefrorene Wesen, das er aus Jean
Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬
zeit für die allerschändlichste Prahlerey hielt. Auf

Höflichkeit empfieng. Denn ſo möchte man jene
Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten will,
und keinen Zug mehr ihres Urſprungs, der wohl¬
wollenden Güte, an ſich hat. Der Miniſter las
das Schreiben ſchnell durch und erkundigte ſich um
die Familienverhältniſſe des Grafen mit wenigen
ſonderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu ſeiner
höchſten Verwunderung erſah, daß der Miniſter in
die Geheimniſſe ſeiner Familie eingeweihter ſeyn
müſſe, als er ſelber, und er betrachtete den kalten
Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger
Scheu.

Während dieſer Unterredung kam unten ein
junger Mann in ſoldatiſcher Kleidung die Straſſe
herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬
liges Bild voriger rechter Jugend, deſſen Anblick
unſer Auge längſt entwöhnt iſt, uns plötzlich begeg¬
nete, ſo ragte der herrliche Reiter über die verwor¬
rene, falbe Menge, die ſein wildes Roß auseinan¬
derſprengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er
nickte freundlich in das Fenſter hinauf, der Miniſter
verneigte ſich tief; es war der Erbprinz.

Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürſtliche
Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck
gemacht, den er, ſo lange er lebte, nie wieder aus¬
zulöſchen vermochte. Er ſagte es dem Miniſter.
Der Miniſter lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬
tiſirende, eingefrorene Weſen, das er aus Jean
Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬
zeit für die allerſchändlichſte Prahlerey hielt. Auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="196"/>
Höflichkeit empfieng. Denn &#x017F;o möchte man jene<lb/>
Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten <hi rendition="#g">will</hi>,<lb/>
und keinen Zug mehr ihres Ur&#x017F;prungs, der wohl¬<lb/>
wollenden Güte, an &#x017F;ich hat. Der Mini&#x017F;ter las<lb/>
das Schreiben &#x017F;chnell durch und erkundigte &#x017F;ich um<lb/>
die Familienverhältni&#x017F;&#x017F;e des Grafen mit wenigen<lb/>
&#x017F;onderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu &#x017F;einer<lb/>
höch&#x017F;ten Verwunderung er&#x017F;ah, daß der Mini&#x017F;ter in<lb/>
die Geheimni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Familie eingeweihter &#x017F;eyn<lb/>&#x017F;&#x017F;e, als er &#x017F;elber, und er betrachtete den kalten<lb/>
Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger<lb/>
Scheu.</p><lb/>
          <p>Während die&#x017F;er Unterredung kam unten ein<lb/>
junger Mann in &#x017F;oldati&#x017F;cher Kleidung die Stra&#x017F;&#x017F;e<lb/>
herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬<lb/>
liges Bild voriger rechter Jugend, de&#x017F;&#x017F;en Anblick<lb/>
un&#x017F;er Auge läng&#x017F;t entwöhnt i&#x017F;t, uns plötzlich begeg¬<lb/>
nete, &#x017F;o ragte der herrliche Reiter über die verwor¬<lb/>
rene, falbe Menge, die &#x017F;ein wildes Roß auseinan¬<lb/>
der&#x017F;prengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er<lb/>
nickte freundlich in das Fen&#x017F;ter hinauf, der Mini&#x017F;ter<lb/>
verneigte &#x017F;ich tief; es war der Erbprinz.</p><lb/>
          <p>Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft für&#x017F;tliche<lb/>
Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck<lb/>
gemacht, den er, &#x017F;o lange er lebte, nie wieder aus¬<lb/>
zulö&#x017F;chen vermochte. Er &#x017F;agte es dem Mini&#x017F;ter.<lb/>
Der Mini&#x017F;ter lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬<lb/>
ti&#x017F;irende, eingefrorene We&#x017F;en, das er aus Jean<lb/>
Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬<lb/>
zeit für die aller&#x017F;chändlich&#x017F;te Prahlerey hielt. Auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0202] Höflichkeit empfieng. Denn ſo möchte man jene Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten will, und keinen Zug mehr ihres Urſprungs, der wohl¬ wollenden Güte, an ſich hat. Der Miniſter las das Schreiben ſchnell durch und erkundigte ſich um die Familienverhältniſſe des Grafen mit wenigen ſonderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu ſeiner höchſten Verwunderung erſah, daß der Miniſter in die Geheimniſſe ſeiner Familie eingeweihter ſeyn müſſe, als er ſelber, und er betrachtete den kalten Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger Scheu. Während dieſer Unterredung kam unten ein junger Mann in ſoldatiſcher Kleidung die Straſſe herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬ liges Bild voriger rechter Jugend, deſſen Anblick unſer Auge längſt entwöhnt iſt, uns plötzlich begeg¬ nete, ſo ragte der herrliche Reiter über die verwor¬ rene, falbe Menge, die ſein wildes Roß auseinan¬ derſprengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er nickte freundlich in das Fenſter hinauf, der Miniſter verneigte ſich tief; es war der Erbprinz. Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürſtliche Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck gemacht, den er, ſo lange er lebte, nie wieder aus¬ zulöſchen vermochte. Er ſagte es dem Miniſter. Der Miniſter lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬ tiſirende, eingefrorene Weſen, das er aus Jean Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬ zeit für die allerſchändlichſte Prahlerey hielt. Auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/202
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/202>, abgerufen am 23.11.2024.