Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Der junge Mann war indeß näher getreten.
Friedrich sah ihm genauer ins Gesicht, er traute
seinen Augen kaum, es war einer von den Stu¬
denten, die ihm bey seinem Abzuge von der Univer¬
sität das Geleit gegeben hatten. -- Mein Gott!
wie kommst du unter diese Leute? rief Friedrich voll
Erstaunen, denn er hatte ihn damals als einen stil¬
len und fleissigen Menschen gekannt, der vor den
Ausgelassenheiten der anderen jederzeit einen heim¬
lichen Widerwillen hegte. Der Student gestand,
daß er den Grafen sogleich wieder erkannte, aber
gehofft habe, von ihm übersehen zu werden. Er
schien sehr verlegen.

Friedrich, der sich an seinem Gesichte aller alten
Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und
vertraulich an den Tisch und der Student erzählte
ihnen endlich den ganzen Hergang seiner Geschichte.
Nicht lange nach Friedrichs Abreise hatte sich nem¬
lich auf der Universität eine reisende Gesellschaft von
Seiltänzern eingefunden, worunter besonders eine
Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf
sich zog. Viele Studenten versuchten und fanden
ihr Glück. Er aber mit seiner stillen und tieferen
Gemüthsart verliebte sich im Ernste in das Mäd¬
chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬
bensweise von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬
blieben war, wurde sie von seiner zarten, unge¬
wohnten Art, sie zu behandeln und zu gewinnen,
überrascht und gefangen. Sie beredeten sich, ein¬
ander zu heyrathen, sie verließ die Bande und er

Der junge Mann war indeß näher getreten.
Friedrich ſah ihm genauer ins Geſicht, er traute
ſeinen Augen kaum, es war einer von den Stu¬
denten, die ihm bey ſeinem Abzuge von der Univer¬
ſität das Geleit gegeben hatten. — Mein Gott!
wie kommſt du unter dieſe Leute? rief Friedrich voll
Erſtaunen, denn er hatte ihn damals als einen ſtil¬
len und fleiſſigen Menſchen gekannt, der vor den
Ausgelaſſenheiten der anderen jederzeit einen heim¬
lichen Widerwillen hegte. Der Student geſtand,
daß er den Grafen ſogleich wieder erkannte, aber
gehofft habe, von ihm überſehen zu werden. Er
ſchien ſehr verlegen.

Friedrich, der ſich an ſeinem Geſichte aller alten
Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und
vertraulich an den Tiſch und der Student erzählte
ihnen endlich den ganzen Hergang ſeiner Geſchichte.
Nicht lange nach Friedrichs Abreiſe hatte ſich nem¬
lich auf der Univerſität eine reiſende Geſellſchaft von
Seiltänzern eingefunden, worunter beſonders eine
Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf
ſich zog. Viele Studenten verſuchten und fanden
ihr Glück. Er aber mit ſeiner ſtillen und tieferen
Gemüthsart verliebte ſich im Ernſte in das Mäd¬
chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬
bensweiſe von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬
blieben war, wurde ſie von ſeiner zarten, unge¬
wohnten Art, ſie zu behandeln und zu gewinnen,
überraſcht und gefangen. Sie beredeten ſich, ein¬
ander zu heyrathen, ſie verließ die Bande und er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0237" n="231"/>
          <p>Der junge Mann war indeß näher getreten.<lb/>
Friedrich &#x017F;ah ihm genauer ins Ge&#x017F;icht, er traute<lb/>
&#x017F;einen Augen kaum, es war einer von den Stu¬<lb/>
denten, die ihm bey &#x017F;einem Abzuge von der Univer¬<lb/>
&#x017F;ität das Geleit gegeben hatten. &#x2014; Mein Gott!<lb/>
wie komm&#x017F;t du unter die&#x017F;e Leute? rief Friedrich voll<lb/>
Er&#x017F;taunen, denn er hatte ihn damals als einen &#x017F;til¬<lb/>
len und flei&#x017F;&#x017F;igen Men&#x017F;chen gekannt, der vor den<lb/>
Ausgela&#x017F;&#x017F;enheiten der anderen jederzeit einen heim¬<lb/>
lichen Widerwillen hegte. Der Student ge&#x017F;tand,<lb/>
daß er den Grafen &#x017F;ogleich wieder erkannte, aber<lb/>
gehofft habe, von ihm über&#x017F;ehen zu werden. Er<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ehr verlegen.</p><lb/>
          <p>Friedrich, der &#x017F;ich an &#x017F;einem Ge&#x017F;ichte aller alten<lb/>
Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und<lb/>
vertraulich an den Ti&#x017F;ch und der Student erzählte<lb/>
ihnen endlich den ganzen Hergang &#x017F;einer Ge&#x017F;chichte.<lb/>
Nicht lange nach Friedrichs Abrei&#x017F;e hatte &#x017F;ich nem¬<lb/>
lich auf der Univer&#x017F;ität eine rei&#x017F;ende Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von<lb/>
Seiltänzern eingefunden, worunter be&#x017F;onders eine<lb/>
Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf<lb/>
&#x017F;ich zog. Viele Studenten ver&#x017F;uchten und fanden<lb/>
ihr Glück. Er aber mit &#x017F;einer &#x017F;tillen und tieferen<lb/>
Gemüthsart verliebte &#x017F;ich im Ern&#x017F;te in das Mäd¬<lb/>
chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬<lb/>
benswei&#x017F;e von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬<lb/>
blieben war, wurde &#x017F;ie von &#x017F;einer zarten, unge¬<lb/>
wohnten Art, &#x017F;ie zu behandeln und zu gewinnen,<lb/>
überra&#x017F;cht und gefangen. Sie beredeten &#x017F;ich, ein¬<lb/>
ander zu heyrathen, &#x017F;ie verließ die Bande und er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0237] Der junge Mann war indeß näher getreten. Friedrich ſah ihm genauer ins Geſicht, er traute ſeinen Augen kaum, es war einer von den Stu¬ denten, die ihm bey ſeinem Abzuge von der Univer¬ ſität das Geleit gegeben hatten. — Mein Gott! wie kommſt du unter dieſe Leute? rief Friedrich voll Erſtaunen, denn er hatte ihn damals als einen ſtil¬ len und fleiſſigen Menſchen gekannt, der vor den Ausgelaſſenheiten der anderen jederzeit einen heim¬ lichen Widerwillen hegte. Der Student geſtand, daß er den Grafen ſogleich wieder erkannte, aber gehofft habe, von ihm überſehen zu werden. Er ſchien ſehr verlegen. Friedrich, der ſich an ſeinem Geſichte aller alten Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und vertraulich an den Tiſch und der Student erzählte ihnen endlich den ganzen Hergang ſeiner Geſchichte. Nicht lange nach Friedrichs Abreiſe hatte ſich nem¬ lich auf der Univerſität eine reiſende Geſellſchaft von Seiltänzern eingefunden, worunter beſonders eine Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf ſich zog. Viele Studenten verſuchten und fanden ihr Glück. Er aber mit ſeiner ſtillen und tieferen Gemüthsart verliebte ſich im Ernſte in das Mäd¬ chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬ bensweiſe von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬ blieben war, wurde ſie von ſeiner zarten, unge¬ wohnten Art, ſie zu behandeln und zu gewinnen, überraſcht und gefangen. Sie beredeten ſich, ein¬ ander zu heyrathen, ſie verließ die Bande und er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/237
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/237>, abgerufen am 23.11.2024.