waltsam unterdrückt, ja, selbst seinen eigensten Wunsch, eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben und dafür eine freudenlose Ehe mit einem der vor¬ nehmsten Mädchen gewählt hatte, einzig um das Steuer des Staates in seine festere und sichere Hand zu erhalten. -- Eine gleiche Gesinnung schien alle Glieder dieses Kreises zu verbrüdern. Sie ar¬ beiteten fleissig, hoffend und glaubend, dem alten Recht in der engen Zeit Luft zu machen, auf Tod und Leben bereit.
Ganz anders, abgesondert und ohne alle Be¬ rührung mit diesem Kreise lebte Leontin in einem abgelegenen Quartiere der Residenz mit der Aus¬ sicht auf die beschneyten Berge über die weiten Vorstädte weg, wo er, mit Fabern zusammenwoh¬ nend, einen wunderlichen Haushalt fuhrte. Alle die Begeisterungen, Freuden und Schmerzen, die sich Friedrich'n, dessen Bildung langsam aber siche¬ rer fortschritt, erst jezt neu aufdeckten, hatte er längst im Innersten empfunden. Ihn jammerte sei¬ ne Zeit vielleicht wie keinen, aber er haßte es, da¬ von zu sprechen. Mit der größten Geisteskraft hat¬ te er schon oft redlich alles versucht, wo es etwas nützen konnte, aber immer überwiesen, wie die Menge reich an Wünschen, aber innerlich dumpf und gleichgültig sey, wo es gilt, und wie seine Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der Zeit, warf er sich in einer Art von Verzweiflung immer wieder auf die Poesie zurück und dichtete oft Nächtelang ein wunderbares Leben, meist Tragö¬
waltſam unterdrückt, ja, ſelbſt ſeinen eigenſten Wunſch, eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben und dafür eine freudenloſe Ehe mit einem der vor¬ nehmſten Mädchen gewählt hatte, einzig um das Steuer des Staates in ſeine feſtere und ſichere Hand zu erhalten. — Eine gleiche Geſinnung ſchien alle Glieder dieſes Kreiſes zu verbrüdern. Sie ar¬ beiteten fleiſſig, hoffend und glaubend, dem alten Recht in der engen Zeit Luft zu machen, auf Tod und Leben bereit.
Ganz anders, abgeſondert und ohne alle Be¬ rührung mit dieſem Kreiſe lebte Leontin in einem abgelegenen Quartiere der Reſidenz mit der Aus¬ ſicht auf die beſchneyten Berge über die weiten Vorſtädte weg, wo er, mit Fabern zuſammenwoh¬ nend, einen wunderlichen Haushalt fuhrte. Alle die Begeiſterungen, Freuden und Schmerzen, die ſich Friedrich'n, deſſen Bildung langſam aber ſiche¬ rer fortſchritt, erſt jezt neu aufdeckten, hatte er längſt im Innerſten empfunden. Ihn jammerte ſei¬ ne Zeit vielleicht wie keinen, aber er haßte es, da¬ von zu ſprechen. Mit der größten Geiſteskraft hat¬ te er ſchon oft redlich alles verſucht, wo es etwas nützen konnte, aber immer überwieſen, wie die Menge reich an Wünſchen, aber innerlich dumpf und gleichgültig ſey, wo es gilt, und wie ſeine Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der Zeit, warf er ſich in einer Art von Verzweiflung immer wieder auf die Poeſie zurück und dichtete oft Nächtelang ein wunderbares Leben, meiſt Tragö¬
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waltſam unterdrückt, ja, ſelbſt ſeinen eigenſten
Wunſch, eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben
und dafür eine freudenloſe Ehe mit einem der vor¬
nehmſten Mädchen gewählt hatte, einzig um das
Steuer des Staates in ſeine feſtere und ſichere
Hand zu erhalten. — Eine gleiche Geſinnung ſchien
alle Glieder dieſes Kreiſes zu verbrüdern. Sie ar¬
beiteten fleiſſig, hoffend und glaubend, dem alten
Recht in der engen Zeit Luft zu machen, auf Tod
und Leben bereit.
Ganz anders, abgeſondert und ohne alle Be¬
rührung mit dieſem Kreiſe lebte Leontin in einem
abgelegenen Quartiere der Reſidenz mit der Aus¬
ſicht auf die beſchneyten Berge über die weiten
Vorſtädte weg, wo er, mit Fabern zuſammenwoh¬
nend, einen wunderlichen Haushalt fuhrte. Alle
die Begeiſterungen, Freuden und Schmerzen, die
ſich Friedrich'n, deſſen Bildung langſam aber ſiche¬
rer fortſchritt, erſt jezt neu aufdeckten, hatte er
längſt im Innerſten empfunden. Ihn jammerte ſei¬
ne Zeit vielleicht wie keinen, aber er haßte es, da¬
von zu ſprechen. Mit der größten Geiſteskraft hat¬
te er ſchon oft redlich alles verſucht, wo es etwas
nützen konnte, aber immer überwieſen, wie die
Menge reich an Wünſchen, aber innerlich dumpf
und gleichgültig ſey, wo es gilt, und wie ſeine
Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der
Zeit, warf er ſich in einer Art von Verzweiflung
immer wieder auf die Poeſie zurück und dichtete oft
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/264>, abgerufen am 23.11.2024.
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