der Sonnenseite der Liebe. Rosa nahm Friedrichs nur seltenen Besuche nicht in diesem Sinne, denn wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in ihrem Umfange, sondern messen ungeschickt das Un¬ ermeßliche nach Küssen und eitlen Versicherungen. Es ist, als wären ihre Augen zu blöde, frey in die göttliche Flamme zu schauen, sie spielen nur mit ihrem spielenden Widerscheine. Friedrich fand sie überhaupt seit einiger Zeit etwas verändert. Sie war oft einsylbig, oft wieder bis zur Leichtfertig¬ keit munter, beydes schien Manier. Sie mischte oft in ihre besten Unterhaltungen so Fremdartiges, als hätte ihr innerstes Leben sein altes Gleichgewicht verloren. Ueber seine seltenen Besuche machte sie ihm nie den kleinsten Vorwurf. Er war weit ent¬ fernt, den wahren Grund von allem diesen auch nur zu ahnden. Denn die rechte Liebe ist einfältig und sorglos.
Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr. Das Zimmer war schon dunkel, sie war allein. Sie schien ganz athemlos vor Verlegenheit, als er so plötzlich in das Zimmer trat, und sah sich ängstlich einigemal nach der anderen Thüre um. Friedrich be¬ merkte ihre Unruhe nicht, oder mochte sie nicht be¬ merken. Er hatte heute den ganzen Tag gearbei¬ tet, geschrieben und gesonnen. Auf seiner unbeküm¬ mert unordentlichen Kleidung, auf dem verwachten, etwas bleichen Gesichte und den sinnigen Augen ruh¬ te noch der Nachsommer der Begeisterung. Er bat sie, kein Licht zu machen, setzte sich, nach seiner
der Sonnenſeite der Liebe. Roſa nahm Friedrichs nur ſeltenen Beſuche nicht in dieſem Sinne, denn wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in ihrem Umfange, ſondern meſſen ungeſchickt das Un¬ ermeßliche nach Küſſen und eitlen Verſicherungen. Es iſt, als wären ihre Augen zu blöde, frey in die göttliche Flamme zu ſchauen, ſie ſpielen nur mit ihrem ſpielenden Widerſcheine. Friedrich fand ſie überhaupt ſeit einiger Zeit etwas verändert. Sie war oft einſylbig, oft wieder bis zur Leichtfertig¬ keit munter, beydes ſchien Manier. Sie miſchte oft in ihre beſten Unterhaltungen ſo Fremdartiges, als hätte ihr innerſtes Leben ſein altes Gleichgewicht verloren. Ueber ſeine ſeltenen Beſuche machte ſie ihm nie den kleinſten Vorwurf. Er war weit ent¬ fernt, den wahren Grund von allem dieſen auch nur zu ahnden. Denn die rechte Liebe iſt einfältig und ſorglos.
Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr. Das Zimmer war ſchon dunkel, ſie war allein. Sie ſchien ganz athemlos vor Verlegenheit, als er ſo plötzlich in das Zimmer trat, und ſah ſich ängſtlich einigemal nach der anderen Thüre um. Friedrich be¬ merkte ihre Unruhe nicht, oder mochte ſie nicht be¬ merken. Er hatte heute den ganzen Tag gearbei¬ tet, geſchrieben und geſonnen. Auf ſeiner unbeküm¬ mert unordentlichen Kleidung, auf dem verwachten, etwas bleichen Geſichte und den ſinnigen Augen ruh¬ te noch der Nachſommer der Begeiſterung. Er bat ſie, kein Licht zu machen, ſetzte ſich, nach ſeiner
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der Sonnenſeite der Liebe. Roſa nahm Friedrichs
nur ſeltenen Beſuche nicht in dieſem Sinne, denn
wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in
ihrem Umfange, ſondern meſſen ungeſchickt das Un¬
ermeßliche nach Küſſen und eitlen Verſicherungen.
Es iſt, als wären ihre Augen zu blöde, frey in
die göttliche Flamme zu ſchauen, ſie ſpielen nur mit
ihrem ſpielenden Widerſcheine. Friedrich fand ſie
überhaupt ſeit einiger Zeit etwas verändert. Sie
war oft einſylbig, oft wieder bis zur Leichtfertig¬
keit munter, beydes ſchien Manier. Sie miſchte oft
in ihre beſten Unterhaltungen ſo Fremdartiges, als
hätte ihr innerſtes Leben ſein altes Gleichgewicht
verloren. Ueber ſeine ſeltenen Beſuche machte ſie
ihm nie den kleinſten Vorwurf. Er war weit ent¬
fernt, den wahren Grund von allem dieſen auch
nur zu ahnden. Denn die rechte Liebe iſt einfältig
und ſorglos.
Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr. Das
Zimmer war ſchon dunkel, ſie war allein. Sie
ſchien ganz athemlos vor Verlegenheit, als er ſo
plötzlich in das Zimmer trat, und ſah ſich ängſtlich
einigemal nach der anderen Thüre um. Friedrich be¬
merkte ihre Unruhe nicht, oder mochte ſie nicht be¬
merken. Er hatte heute den ganzen Tag gearbei¬
tet, geſchrieben und geſonnen. Auf ſeiner unbeküm¬
mert unordentlichen Kleidung, auf dem verwachten,
etwas bleichen Geſichte und den ſinnigen Augen ruh¬
te noch der Nachſommer der Begeiſterung. Er bat
ſie, kein Licht zu machen, ſetzte ſich, nach ſeiner
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/267>, abgerufen am 23.11.2024.
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