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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Gewohnheit, mit der Guitarre ans Fenster und
sang fröhlich ein altes Lied, das er Rosa'n oft im
Garten bey ihrem Schlosse gesungen. Rosa saß
dicht vor ihm, voll Gedanken, es war, je länger
er sang, als müßte sie ihm etwas vertrauen und
könne sich nicht dazu entschliessen. Sie sah ihn im¬
merfort an. Nein, es ist mir nicht möglich! rief
sie endlich und sprang auf. Er legte die Laute weg;
sie war schnell durch die andere Thüre verschwunden.
Er stand noch einige Zeit nachdenkend, da aber nie¬
mand kam, gieng er verwundert fort.

Es war ihm von jeher eine eigne Freude, wenn
er so Abends durch die Gassen strich, in die unte¬
ren erleuchteten Fenster hineinzublicken, wie da al¬
les, während es draussen stob und stürmte, ge¬
müthlich um den warmen Ofen saß, oder an reinlich¬
gedeckten Tischen schmaußte, des Tages Arbeit und
Mühen vergessend, wie eine bunte Gallerie von
Weihnachtsbildern. Er schlug heute einen anderen,
ungewohnten Weg ein, durch kleine, unbesuchte
Gäßchen, da glaubte er auf einmal in dem einen
Fenster den Prinzen zu sehen. Er blieb erstaunt
stehen. Er war es wirklich. Er saß in einem schlech¬
ten Ueberrocke, den er noch niemals bey ihm gese¬
hen, im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle.
Vor ihm saß ein junges Mädchen in bürgerlicher
Kleidung auf einem Schämel, beyde Arme auf sei¬
ne Kniee gestützt, und sah zu ihm herauf, während
er etwas zu erzählen schien und ihr die Haare von
beyden Seiten aus der heiteren Stirn strich. Ein

Gewohnheit, mit der Guitarre ans Fenſter und
ſang fröhlich ein altes Lied, das er Roſa'n oft im
Garten bey ihrem Schloſſe geſungen. Roſa ſaß
dicht vor ihm, voll Gedanken, es war, je länger
er ſang, als müßte ſie ihm etwas vertrauen und
könne ſich nicht dazu entſchlieſſen. Sie ſah ihn im¬
merfort an. Nein, es iſt mir nicht möglich! rief
ſie endlich und ſprang auf. Er legte die Laute weg;
ſie war ſchnell durch die andere Thüre verſchwunden.
Er ſtand noch einige Zeit nachdenkend, da aber nie¬
mand kam, gieng er verwundert fort.

Es war ihm von jeher eine eigne Freude, wenn
er ſo Abends durch die Gaſſen ſtrich, in die unte¬
ren erleuchteten Fenſter hineinzublicken, wie da al¬
les, während es drauſſen ſtob und ſtürmte, ge¬
müthlich um den warmen Ofen ſaß, oder an reinlich¬
gedeckten Tiſchen ſchmaußte, des Tages Arbeit und
Mühen vergeſſend, wie eine bunte Gallerie von
Weihnachtsbildern. Er ſchlug heute einen anderen,
ungewohnten Weg ein, durch kleine, unbeſuchte
Gäßchen, da glaubte er auf einmal in dem einen
Fenſter den Prinzen zu ſehen. Er blieb erſtaunt
ſtehen. Er war es wirklich. Er ſaß in einem ſchlech¬
ten Ueberrocke, den er noch niemals bey ihm geſe¬
hen, im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle.
Vor ihm ſaß ein junges Mädchen in bürgerlicher
Kleidung auf einem Schämel, beyde Arme auf ſei¬
ne Kniee geſtützt, und ſah zu ihm herauf, während
er etwas zu erzählen ſchien und ihr die Haare von
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[262/0268] Gewohnheit, mit der Guitarre ans Fenſter und ſang fröhlich ein altes Lied, das er Roſa'n oft im Garten bey ihrem Schloſſe geſungen. Roſa ſaß dicht vor ihm, voll Gedanken, es war, je länger er ſang, als müßte ſie ihm etwas vertrauen und könne ſich nicht dazu entſchlieſſen. Sie ſah ihn im¬ merfort an. Nein, es iſt mir nicht möglich! rief ſie endlich und ſprang auf. Er legte die Laute weg; ſie war ſchnell durch die andere Thüre verſchwunden. Er ſtand noch einige Zeit nachdenkend, da aber nie¬ mand kam, gieng er verwundert fort. Es war ihm von jeher eine eigne Freude, wenn er ſo Abends durch die Gaſſen ſtrich, in die unte¬ ren erleuchteten Fenſter hineinzublicken, wie da al¬ les, während es drauſſen ſtob und ſtürmte, ge¬ müthlich um den warmen Ofen ſaß, oder an reinlich¬ gedeckten Tiſchen ſchmaußte, des Tages Arbeit und Mühen vergeſſend, wie eine bunte Gallerie von Weihnachtsbildern. Er ſchlug heute einen anderen, ungewohnten Weg ein, durch kleine, unbeſuchte Gäßchen, da glaubte er auf einmal in dem einen Fenſter den Prinzen zu ſehen. Er blieb erſtaunt ſtehen. Er war es wirklich. Er ſaß in einem ſchlech¬ ten Ueberrocke, den er noch niemals bey ihm geſe¬ hen, im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle. Vor ihm ſaß ein junges Mädchen in bürgerlicher Kleidung auf einem Schämel, beyde Arme auf ſei¬ ne Kniee geſtützt, und ſah zu ihm herauf, während er etwas zu erzählen ſchien und ihr die Haare von beyden Seiten aus der heiteren Stirn ſtrich. Ein

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/268>, abgerufen am 23.11.2024.