manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne Gedanken, so seltsam weit abschweifend von der Sinnes- und Ausdrucksart unserer Zeit, daß sie oft unverständlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬ gen über seine Umgebungen und das Leben, wie fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬ schen Grunde, wunderschöne Bilder aus der Erin¬ nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden an Personen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬ zwischen Gebethe wie aus der tiefsten Seelenverwir¬ rung eines geängstigten Verbrechers, immerwäh¬ rende Beziehung auf eine unselige verdeckte Leiden¬ schaft, die sich selber nie deutlich schien, kein einzi¬ ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall.
Friedrich versuchte unermüdlich seine frühere Le¬ bensgeschichte auszuspüren, um nach so erkannter Wurzel des Uebels vielleicht das aufrührerische Ge¬ müth des Knaben sicherer zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir wissen, mit welcher Furcht er das Geheimniß seiner Kindheit hüthete. Ich muß sterben, wenn es je¬ mand erfährt, war dann jedesmal seine Antwort. Eine eben so unbegreifliche Angst hatte er auch vor allen Aerzten.
Sein Zustand wurde indeß immer bedenklicher. Friedrich hatte daher alles einem verständigen Arzte von seiner Bekanntschaft anvertraut und bat densel¬ ben, ihn, ohne seine Absicht merken zu lassen, des Abends zu besuchen, wann Erwin bey ihm wäre.
manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne Gedanken, ſo ſeltſam weit abſchweifend von der Sinnes- und Ausdrucksart unſerer Zeit, daß ſie oft unverſtändlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬ gen über ſeine Umgebungen und das Leben, wie fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬ ſchen Grunde, wunderſchöne Bilder aus der Erin¬ nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden an Perſonen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬ zwiſchen Gebethe wie aus der tiefſten Seelenverwir¬ rung eines geängſtigten Verbrechers, immerwäh¬ rende Beziehung auf eine unſelige verdeckte Leiden¬ ſchaft, die ſich ſelber nie deutlich ſchien, kein einzi¬ ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall.
Friedrich verſuchte unermüdlich ſeine frühere Le¬ bensgeſchichte auszuſpüren, um nach ſo erkannter Wurzel des Uebels vielleicht das aufrühreriſche Ge¬ müth des Knaben ſicherer zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir wiſſen, mit welcher Furcht er das Geheimniß ſeiner Kindheit hüthete. Ich muß ſterben, wenn es je¬ mand erfährt, war dann jedesmal ſeine Antwort. Eine eben ſo unbegreifliche Angſt hatte er auch vor allen Aerzten.
Sein Zuſtand wurde indeß immer bedenklicher. Friedrich hatte daher alles einem verſtändigen Arzte von ſeiner Bekanntſchaft anvertraut und bat denſel¬ ben, ihn, ohne ſeine Abſicht merken zu laſſen, des Abends zu beſuchen, wann Erwin bey ihm wäre.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0280"n="274"/>
manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne<lb/>
Gedanken, ſo ſeltſam weit abſchweifend von der<lb/>
Sinnes- und Ausdrucksart unſerer Zeit, daß ſie<lb/>
oft unverſtändlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬<lb/>
gen über ſeine Umgebungen und das Leben, wie<lb/>
fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬<lb/>ſchen Grunde, wunderſchöne Bilder aus der Erin¬<lb/>
nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden<lb/>
an Perſonen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬<lb/>
zwiſchen Gebethe wie aus der tiefſten Seelenverwir¬<lb/>
rung eines geängſtigten Verbrechers, immerwäh¬<lb/>
rende Beziehung auf eine unſelige verdeckte Leiden¬<lb/>ſchaft, die ſich ſelber nie deutlich ſchien, kein einzi¬<lb/>
ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall.</p><lb/><p>Friedrich verſuchte unermüdlich ſeine frühere Le¬<lb/>
bensgeſchichte auszuſpüren, um nach ſo erkannter<lb/>
Wurzel des Uebels vielleicht das aufrühreriſche Ge¬<lb/>
müth des Knaben ſicherer zu beruhigen und ins<lb/>
Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir<lb/>
wiſſen, mit welcher Furcht er das Geheimniß ſeiner<lb/>
Kindheit hüthete. Ich muß ſterben, wenn es je¬<lb/>
mand erfährt, war dann jedesmal ſeine Antwort.<lb/>
Eine eben ſo unbegreifliche Angſt hatte er auch vor<lb/>
allen Aerzten.</p><lb/><p>Sein Zuſtand wurde indeß immer bedenklicher.<lb/>
Friedrich hatte daher alles einem verſtändigen Arzte<lb/>
von ſeiner Bekanntſchaft anvertraut und bat denſel¬<lb/>
ben, ihn, ohne ſeine Abſicht merken zu laſſen, des<lb/>
Abends zu beſuchen, wann Erwin bey ihm wäre.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[274/0280]
manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne
Gedanken, ſo ſeltſam weit abſchweifend von der
Sinnes- und Ausdrucksart unſerer Zeit, daß ſie
oft unverſtändlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬
gen über ſeine Umgebungen und das Leben, wie
fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬
ſchen Grunde, wunderſchöne Bilder aus der Erin¬
nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden
an Perſonen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬
zwiſchen Gebethe wie aus der tiefſten Seelenverwir¬
rung eines geängſtigten Verbrechers, immerwäh¬
rende Beziehung auf eine unſelige verdeckte Leiden¬
ſchaft, die ſich ſelber nie deutlich ſchien, kein einzi¬
ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall.
Friedrich verſuchte unermüdlich ſeine frühere Le¬
bensgeſchichte auszuſpüren, um nach ſo erkannter
Wurzel des Uebels vielleicht das aufrühreriſche Ge¬
müth des Knaben ſicherer zu beruhigen und ins
Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir
wiſſen, mit welcher Furcht er das Geheimniß ſeiner
Kindheit hüthete. Ich muß ſterben, wenn es je¬
mand erfährt, war dann jedesmal ſeine Antwort.
Eine eben ſo unbegreifliche Angſt hatte er auch vor
allen Aerzten.
Sein Zuſtand wurde indeß immer bedenklicher.
Friedrich hatte daher alles einem verſtändigen Arzte
von ſeiner Bekanntſchaft anvertraut und bat denſel¬
ben, ihn, ohne ſeine Abſicht merken zu laſſen, des
Abends zu beſuchen, wann Erwin bey ihm wäre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/280>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.